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Ahmet Davutoğlu am Freitag auf einer Wahlkundgebung in Konya.

Foto: REUTERS / Umit Bektas

Unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 sagten einige Türkeiexperten, dass der Sieg von Recep Tayyip Erdoğan positive Konsequenzen für die Opposition in der Türkei bringen könnte. Dieser Theorie zufolge würde es der Partei schaden, wenn Erdoğan – zumindest offiziell – nicht mehr Parteioberhaupt wäre. Zum damaligen Zeitpunkt erschien diese These etwas realitätsfern, denn die AKP hatte in zwölf Jahren jede einzelne Wahl gewonnen und konnte stetig ihre Stimmenanteile steigern. Aber jetzt scheint sich diese Annahme doch zu bestätigen.

Ahmet Davutoğlu ist der amtierende Premierminister der Türkei und Vorsitzender der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP). Innerhalb der AKP gilt er als intellektueller Akademiker und hat für türkische Standards eine beachtliche akademische Karriere hingelegt. Zuvor war er fünf Jahre lang Außenminister. Er gilt innerhalb der Partei als einer der loyalsten Anhänger Erdoğans und wird dem neoosmanischen Flügel der Partei zugeordnet. Als Außenminister war er Nachfolger von Ali Babacan.

Babacan wiederum zählt zum liberalen Flügel der Partei und gilt als "Brain" hinter dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes in den ersten Jahre der AKP-Regierung. Während dieser Zeit wurde die Partei in westlichen Medien oft mit den christlich-sozialen Parteien Europas verglichen. Die meisten sahen in Erdoğan und der AKP eine gemäßigt konservative Partei, die einen EU-Kurs anpeilt und zahlreiche Reformen in ihrem Land durchführt hat. Mittlerweile spricht man vielmehr von einer autoritären Regierung, der oftmals ein Zusammenhang mit jihadistischen Kräften in Syrien nachgesagt wird.

Türkei als Global Player

Was hat dazu geführt, dass sich die Meinung über die AKP so sehr geändert hat? Davutoğlus Weltanschauung dürfte eine zentrale Rolle spielen. In seinem Buch "Stratejik Derinlik" ("Die strategische Tiefe") lassen sich seine Denkansätze erkennen. Der studierte Politikwissenschafter schreibt ausführlich über die geopolitischen Ambitionen der Türkei. Für Kritik sorgt oftmals die romantisierte Darstellung des Osmanischen Reiches. Mit einer Rückbesinnung auf islamische Werte sollen die Verbindungen zu islamischen Ländern im Nahen Osten und in Zentralasien gestärkt werden, sodass die Türkei zu einem regional dominanten Global Player aufsteigen kann.

Erfolgloser Außenminister

Trotz seiner großen Ambitionen gilt er als erfolgloser Außenminister. Während seiner Amtszeit deklarierte er als oberstes Ziel die Einhaltung der "Null-Probleme-Politik" mit den Nachbarstaaten. Nach seiner Amtszeit sah die Realität aber anders aus: Ein möglicher EU-Beitritt erscheint ferner als jemals zuvor und die Beziehungen zum Irak, zu Syrien und dem Iran sind ebenfalls auf einem Tiefstand. Auch die Beziehungen zu Ägypten und Israel, die einst die wichtigsten Verbündeten in der Region waren, sind auf einem historischen Tiefpunkt.

Unter der neuen Ausrichtung der Außenpolitik hat die Türkei unter Davutoğlu immer auf die falschen Pferde gesetzt. Zuerst die Muslimbrüder in Ägypten und dann die syrische Opposition in Syrien. Obwohl Erdoğan und Bashar al-Assad zunächst gute Freunde waren und sogar miteinander einen Familienurlaub verbracht haben, entschied sich die Türkei sehr schnell, Assad aufzugeben und die syrische Opposition zu unterstützen.

Auch die passive Haltung der Türkei bei der Belagerung der kurdischen Stadt Kobane durch den "Islamsichen Staat" (IS) erwies sich als Fehlentscheidung. Die Partei verlor fast alle ihre kurdisch-konservativen Wähler. Ein Beispiel dafür, wie sehr sich die Kurden von der AKP abgewandt haben, zeigen die Resultate der kurdischen Hochburg in Diyarbakır. 2011 hatte die AKP dort noch 33 Prozent der Stimmen und war stärkste Kraft. 2015 aber erreichte die kurdische HDP knapp 80 Prozent der Stimmen, und die AKP verlor mehr als die Hälfte ihrer Stimmen.

"Null-Probleme-Politik" verfehlt

Alle diese geopolitischen Entscheidungen lassen sich auf die Außenpolitik Davutoğlus zurückführen. In Anbetracht dessen, dass sein Hauptziel die "Null-Probleme-Politik" mit den Nachbarstaaten war und er die Türkei noch weiter global vernetzen wollte, kann man von einem klaren Scheitern seiner Politik sprechen.

Am 1. November finden Neuwahlen in der Türkei statt. Die AKP unter Ministerpräsident Davutoğlus Führung hatte es zuvor geschafft, erstmals einen Stimmenverlust zu verbuchen. Sie verlor die absolute Mehrheit im Parlament. Staatspräsident Erdoğan war mit diesem Ergebnis höchst unzufrieden. Laut Umfragen scheint es allerdings so, als würde sich nicht viel an den Stimmen der AKP ändern. Hierbei sollte man jedoch nicht unerwähnt lassen, dass besagte Umfragen vor dem größten terroristischen Attentat der türkischen Geschichte, dem Anschlag von Ankara, gemacht wurden. Die Versäumnisse des türkischen Geheimdienstes und der Polizei sowie die Passivität der türkischen Streitkräfte gegenüber dem IS dürften sich nicht allzu positiv auf die Umfragewerte der Regierung auswirken.

Drei Fauxpas'

Davutoğlus Worte nach dem Anschlag wirkten etwas realitätsfremd und wurden von der türkischen Bevölkerung nicht gut aufgenommen. Zunächst lobte er die Justiz dafür, dass sie den Selbstmordattentäter von Suruç gefasst hatte. Diese Aussage schien merkwürdig in Anbetracht dessen, dass dieser sich in die Luft gesprengt hatte und 33 Leute mit in den Tod riss. Danach sprach er davon, dass man zwar eine Liste von Selbstmordattentätern haben würde, aber nichts unternehmen könnte, bevor sie ihre Tat nicht begehen. Sein dritter Fauxpas – innerhalb einer Woche, wohlgemerkt – war die Aussage im Fernsehen, dass sich das Islamverständnis seiner Partei nicht um 180 Grad sondern um ganze 360 Grad von der der des "Islamischen Staates" unterscheidet.

Nachdem Davutoğlu den Außenministerposten der Türkei übernommen hatte, gab es einen Richtungswechsel in der türkischen Außenpolitik. Die neo-osmanischen und zugleich unrealistischen Vorstellungen hatten zur Folge, dass sich die Türkei von ihrem EU-Kurs entfernt hat und in den problematischen syrischen Bürgerkriegssumpf hineingezogen wurde. Die AKP wird zwar erneut die stärkste Kraft werden, allerdings wohl nicht mit der Stimmenanzahl, die sie sich erhofft. Man darf nicht vergessen, dass die AKP nicht vertraut ist mit Niederlagen. Ob man mit Davutoğlu weitermachen wird, weil man seine Loyalität schätzt, oder ob er die Parteiführung bei einem erneuten Stimmverlust abgeben wird müssen, wird sich zeigen. Auch ein Schisma innerhalb der Partei zwischen den gemäßigteren Kräften und den Loyalisten scheint langfristig gesehen nicht unmöglich.

"Frank-Stronach-Effekt"?

Unabhängig vom Resultat der Wahl scheinen sowohl die Entscheidungen von Davutoğlu als auch seine Aussagen dem Land und der eigenen Partei zu schaden. Je mehr er in der Öffentlichkeit spricht, desto mehr scheint er seinem Ansehen zu schaden. Ob es zu einem "Frank-Stronach-Effekt" kommen wird und er sich selbst mit seinen Aussagen ins Abseits befördern wird, bleibt abzuwarten. (Tuna Bozalan, 31.10.2015)