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Kindern soll der einfache Zugang zu den geschiedenen Eltern ermöglicht werden.

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Scheidungskinder können künftig zwei Wohnsitze haben, berichtet DER STANDARD. Laut Verfassungsrichtern darf das Gesetz Doppelresidenzen nicht ausschließen. Dem Kind soll im Idealfall also der einfache Zugang zu beiden, fortan getrennt lebenden Eltern ermöglicht werden, wie es auch in der Kinderrechtskonvention verankert ist. Schließlich hat ein Kind das Recht auf Kontakt zu beiden Eltern. Nun, so weit, so eindeutig. Doch was ist daran eigentlich so neu?

Bisher hatten die unterschiedlichen Richter an den zuständigen Bezirksgerichten einer 50:50-Regelung keine Zustimmung erteilt – so werden manche diese rhetorische Frage beantworten. Richtig, es obliegt zweifelsfrei dem Gericht, einer Vereinbarung, die nach Meinung und Erfahrung des Gerichts dem Kindeswohl zuwiderlaufen könnte, die Rechtskraft zu verweigern.

Kreative Auslegung schon bisher

Dennoch erlebt man als Mediator und Beratungsjurist immer wieder Situationen, in denen die Medianden mit rechtskräftigen Kontaktrechtsregelungen überraschen, die mehr oder weniger einen wochenweisen Wechsel des Betreuungsorts des Kindes festhalten. Es oblag also auch schon bisher den Gerichten, im Rahmen einer kreativen Auslegung dem Kindeswohl dahingehend Vorschub zu leisten, dass man ein starres Wochenendmodell beziehungsweise eine Standardregelung – etwa jedes zweite Wochenende und einen Nachmittag unter der Woche – nicht als unbedingtes Muss, sondern ebenso nur als Möglichkeit sehen konnte.

Ebenso, wie das Kindeswohl von der kreativen Bewältigung der unterschiedlichen Situationen abhängig ist, ist freilich auch die Regelung des Kontaktrechts zu guter Letzt vom wechselseitigen Goodwill der Eltern abhängig. Der Stein der Weisen muss also nicht neu geschaffen werden, er war immer schon existent und hieß "Einvernehmen" beziehungsweise "Kreativität".

Komplexe Regelung im Scheidungswirrwarr

Natürlich kann es im konkreten Fall schwerfallen, sich im Scheidungswirrwarr auf eine komplexe Regelung des Kindesaufenthalts zu einigen, doch ist ein gutes Miteinander der Eltern ohnehin Conditio sine qua non für die Doppelresidenz. Nur wenn beide Eltern ihre Konflikte auf der Paarebene bereits ausgetragen haben und diese ausgeräumt werden konnten, steht eine Vereinbarung des Paritätsmodells auf einem festen Untergrund. Konfliktherde hinsichtlich neuer Partner, finanzieller Ungleichgewichte, allfälliger Ausgleichszahlungen oder sonstiger Sollbruchstellen müssen vorher angesprochen und beseitigt werden.

Freilich gibt es Modelle, die sich bewährt haben. Das sogenannte Kinderkonto, auf das der geldunterhaltspflichtige Elternteil seinen Anteil überweist, ebenso wie der hauptunterkunftgebende Elternteil beispielsweise die Familienbeihilfe und/oder einen anderen Betrag einzahlt. Strenge Regeln schaffen auch hier eine gute Elternschaft, wenn schon nicht Freundschaft. Wird jedoch dann auf Basis des Stehsatzes von den zehn Prozent – die pro überdurchschnittlichen Tag Kontaktrecht abgezogen werden können – argumentiert, kippt der Konsens relativ schnell. Deshalb sind eindeutige und nachhaltige Regelungen bezüglich der finanziellen Aspekte wichtig.

Weiteres Mosaiksteinchen

Nein, die Doppelresidenz ist keine Sensation, ebenso wenig, wie sie bisher ein anzuwendendes Standardmodell war. Davon ausgehend, dass es jedoch auch keine Standardfamilien, keine 08/15-Kinder beziehungsweise -Eltern gibt, sondern immer nur konkrete Menschen, die sich in einer speziellen Lage um die bestmögliche Einigung bemühen, ist es erfreulich, dass der Fundus an Möglichkeiten wieder einmal um ein Mosaiksteinchen erweitert wurde. Sie ist kein Stein der Weisen, sondern schlichtweg eine weitere Möglichkeit von vielen, die zum Wohl des Kindes im jeweiligen Einzelfall herangezogen werden könnte. (Ulrich Wanderer, 30.10.2015)