Die "wandelnde Büroklammer" wird der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin genannt, und das muss man nicht unbedingt als Herabwürdigung verstehen. Der CDU-Politiker gilt als verlässlich, unaufgeregt und diszipliniert. Wenn so jemand vor das Mikrofon tritt und der Regierung des befreundeten Nachbarlandes Österreich in der Flüchtlingspolitik die Leviten liest, dann ist Feuer am Dach.

Bisher konnten die Österreicher Kritik aus Deutschland abperlen lassen. Geschimpft wurde aus München, und in Wien wie Berlin weiß man: Dort passt der CSU schnell einmal was nicht, dann schlägt sie um sich. Entscheidend für Wiens Transit-Transport-Service von Nickelsdorf und Spielfeld zur bayerisch-österreichischen Grenze war der Segen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Doch nun wird auch der Ton aus Berlin schärfer. Dort ist man sauer, weil die Österreicher den Bayern Flüchtlinge heimlich und nächtens an die Grenze stellen – nach dem Motto: Baba, jetzt sind die Deutschen zuständig. So richtig dementiert hat das in Wien niemand. Man kann für de Maizières Vorwurf also durchaus Verständnis haben, zumal Bilder von Kindern, die in der Kälte ausharren, wirklich an die Nieren gehen.

Andererseits ist die harsche Zurechtweisung aus Berlin natürlich durchsichtig. Merkel und de Maizière wissen genau, dass Polizisten wie freiwillige Helfer in Österreich auch nicht gerade untätig herumsitzen, sondern am Limit arbeiten. In Berlin wird jeden Tag betont, wie eng sich Deutschland und Österreich in der Flüchtlingskrise abstimmen und dass Merkel und ihr Amtskollege Werner Faymann (SPÖ) regelmäßig miteinander telefonieren.

Die Berliner hätten also das Problem auch anders angehen können: zum Hörer greifen, in Wien anrufen, diskret auf Missstände an der Grenze hinweisen und beraten, wie man es besser machen könnte. Aber davon hätte die Öffentlichkeit natürlich nichts mitbekommen. De Maizière hat mit seinem Auftritt lieber folgende Botschaft vermittelt: Die gschlamperten Österreicher unterlaufen die deutsche Großzügigkeit und Effizienz, sie sind schuld am Chaos an der Grenze.

Mit dem Finger auf andere zeigt meist, wer selbst unter Druck ist. Das ist hier eindeutig der Fall. Die Umfragewerte der CDU sinken, die CSU schießt permanent aus München quer, Pegida hat wieder Zulauf, und eine schnelle Lösung kann Merkel nicht bieten. Immer mehr Menschen zweifeln, dass sie die Lage noch im Griff oder überhaupt irgendeinen Plan in der Schublade hat.

Doch es bringt gar nichts, Österreich von Berlin aus schulmeisternd zum Sündenbock stempeln zu wollen. Merkel und Faymann haben sich vor knapp zwei Monaten grundsätzlich und gemeinsam für diese Vorgehensweise entschieden. Jetzt darf keine Seite die Nerven verlieren, vielmehr sollten Wien und Berlin ihre Kräfte konzentrieren und Schwierigkeiten möglichst geräuschlos aus der Welt schaffen. Man darf erwarten, dass zwei Staaten, in denen man sogar die gleiche Sprache spricht, das hinkriegen.

Denn wenn jene zwei Länder, die seit Wochen in der Flüchtlingskrise die Botschaft "Wir sind die Guten und Großzügigen" vermitteln, jetzt auch noch in aller Öffentlichkeit streiten, dann ist das kein positives Signal, sondern Wasser auf die Mühlen jener, die die Grenzen lieber heute als morgen dichtmachen wollen. (Birgit Baumann, 29.10.2015)