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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel reiste nach China. Empfangen wurde sie von Präsident Xi Jinping.

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In der Pekinger Großen Halle des Volkes amüsierte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Frage auf ihrer Pressekonferenz: Ob sie befürchte, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen bei den Chinesen im "Schönheitswettbewerb" mit den Briten den Kürzeren ziehen. Launig sagte sie: "Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir können auch so schöne Besuche für Gäste aus China ausrichten."

Merkel bezog sich auf den pompösen Empfang, den London vergangene Woche dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping bereitet hatte, wofür es mit Wirtschaftsaufträgen im Ausmaß von 60 Milliarden US-Dollar belohnt wurde. Premier Li Keqiang, der Merkel Donnerstagfrüh auf ihrer achten Kanzlerreise nach China begrüßt hatte, lachte noch mehr, als Merkel hinzufügte: "Wir haben aber keine Queen in Deutschland."

Wichtiger Handelspartner Deutschland

Doch die Bundesrepublik ist Chinas größter europäischer Handelspartner und Technologielieferant mit institutionalisierten Regierungskonsultationen und pflegt einen umfassenden Austausch auf allen Feldern. Merkels selbstbewusste Aussage, dass "Deutschland in China gut aufgestellt ist", bestätigte Li indirekt bei seiner ersten Gesprächsrunde mit ihr in kleinem Kreis. Er überzog das Treffen "um fast eine Stunde" und entschuldigte sich bei seiner nachfolgenden Zusammenkunft mit den zu Merkels Delegation gehörenden hochkarätigen Unternehmensführern: "Wir hatten so viel miteinander zu besprechen." Beide hätten sich gegenseitig immer wieder neue "Bälle zugespielt".

Deutschland als Vorbild

Li warb bei den Unternehmern um eine weitere Intensivierung der chinesisch-deutschen Zusammenarbeit zur Modernisierung und Digitalisierung der Industrie des Landes. China nehme sich Deutschlands Zukunftsstrategie "Industrie 4.0" zum Vorbild und wolle diese mit seinem eigenen Entwicklungsweg "Industrie 2025" verbinden. Doch die Unterschiede seien sehr groß. Daher wolle China von Deutschlands fortschrittlicher Technologie "lernen". Es bringe seinen riesigen Markt ein.

Li schlug vor, auf Regierungsebene eine neue Stelle zur Vermittlung einzurichten. Auf chinesischer Seite würde Informationsminister Miao Wei zuständig sein. Li erneuerte sein Versprechen, dass China den Schutz des geistigen Eigentums zusichern wolle. "Das ist die Grundlage." Der Premier weiß, dass mangelndes Vertrauen in Chinas Zusage, fair zu spielen, das für 2015 vereinbarte deutsch-chinesische Jahr der Innovationspartnerschaft nicht recht von der Stelle kommen lässt.

Kooperationen in Milliardenhöhe vereinbart

Nicht Merkel buhlte um die Gunst Chinas, wie viele befürchtet hatten, sondern China um sie. Das schlug sich auch in 13 im Beisein der beiden Regierungschefs unterzeichneten Kooperationen und Wirtschaftsaufträgen nieder, die zusammen 18,4 Milliarden Euro wert sein sollen. Darunter sind Bestellungen für 130 Airbusse des Typs A320 und A330 in einem Aufttragswert von rund 15 Milliarden Euro. Unterzeichnet wurde auch eine strategische Kooperation der Volkswagen AG mit Chinas ICBC-Bank, mit der VW erstmals seit langem wieder für positive Nachrichten sorgte. In Merkels Delegation reist der neue VW-Chef Matthias Müller mit.

Pandas für Berlin

Und es gab noch andere gute Nachrichten: 2016 soll zum Jahr des deutsch-chinesischen Schüler- und Jugendaustausches werden. Überraschend stellte Chinas Premier für den Berliner Zoo wieder ein Panda-Paar in Aussicht. Merkel sagte: "Deutschland und die Hauptstadt wird es besonders freuen, dass wir dazu das Gespräch aufgenommen haben."

China als Partner in der Syrien-Politik

Doch Peking bot der Kanzlerin nicht nur Erholung vom zermürbenden politischen Geschäft in Berlin. Syrien und das Flüchtlingsproblem holten sie selbst im fernen China ein. Merkel hofft, die Volksrepublik, die Einfluss auf Syrien, Pakistan und Afghanistan nehmen kann und UN-Vetomacht ist, zur Teilnahme an der politischen Problemlösung zu bewegen. Chinas Premier zeigte sich der Idee aufgeschlossen. Er nannte es "ein Gebot der Stunde", einen politischen Dialog in Gang zu setzen. Doch der Teufel sitzt im Detail. Li sagte, eine solche Initiative müsse dem Interesse aller Parteien entsprechen und unter den Fittichen der UN entwickelt werden. China leiste in den betroffenen Staaten bereits humanitäre Hilfe und wolle diese vor dem Winter ausweiten.

Bisher ist der Umfang solcher Hilfe sehr begrenzt. Doch Staatschef Xi hatte vor kurzem mehr humanitäre Unterstützung als Beitrag Chinas zur Bewältigung der Flüchtlingskrise versprochen. Am 14. Oktober hatte er das beim Treffen mit der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović für die Grenzstaaten Europas zugesagt.

Dinner und Salutschüsse

Xi gab für Merkel Donnerstagabend ein Staatsdinner. Die Bundeskanzlerin war schon am Morgen mit einem Staatsakt und 21 Salutschüssen empfangen worden. Protokollarisch haben Ministerpräsidenten Anspruch auf 19 Schüsse. Chinas führende Parteifunktionäre Xi, Li und Volkskongress-Vorsitzender Zhang Dejiang waren am Donnerstag Gastgeber für Merkel. Obwohl am gleichen Tag ihr geheimes, vier Tage dauerndes ZK-Plenum zum neuen Fünfjahresplan endete. Er bestimmte Chinas Abendnachrichten. Doch Merkel kam gleich an zweiter Stelle.

Solche Gesten besonderer Wertschätzung brachten Merkel aber nicht von ihrer Agenda ab. Sie habe den Rechtsstaatsdialog angesprochen, den beide Länder im November wieder führen wollen. Sie nahm auch zu den geplanten und weltweit kritisierten NGO-Gesetzen Stellung. Sie habe Li gesagt: Nichtregierungsorganisationen und politische Stiftungen leisteten einer Gesellschaft wertvolle Dienste. "Das sollte in China auch in Zukunft weiter möglich sein."

"Heimatstadt"-Diplomatie

Die Kanzlerin wird dem Premier noch mehr sagen können. Li begleitet sie am Freitag nach Hefei, der Provinzhauptstadt von Anhui, wo er 1955 geboren wurde. Er will ihr dort Dörfer und seine Heimat zeigen. "Das ist das erste Mal, dass ich seit Antritt meiner Amtszeit einen Staatsbesucher außerhalb von Peking begleite", sagte er auf der Pressekonferenz. Pekings Jugendzeitung nannte es die neue "Heimatstadt"-Diplomatie.

Was Li nicht sagte: Direkt nachdem er am Freitag Abschied von Merkel nimmt, reist er zum am 1. November beginnenden Regierungsbesuch in Südkorea weiter.Dort will er zusammen mit Japans Premierminister Shinzo Abe und Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye ihren einst auf Eis gelegten Dreiergipfel wiederaufleben lassen. Eines der Ziele der plötzlichen diplomatischen Flexibilität: Peking will die Nachbarn für eine Freihandelszone gewinnen als Gegengewicht zu dem soeben von den USA vereinbarten transatlantischen TPP-Abkommen, an dem China nicht beteiligt ist.

Pekings Führung drängt aus gleichem Grund auch Merkel, eine China-EU-Freihandelszone zu unterstützen. Großbritannien hat seine Zustimmung schon bekundet. Merkel hielt sich bedeckt. Sie werde sich erst einmal dafür einsetzen, dass es 2016 zum Abschluss eines EU-China-Investitionsabkommens kommt. Das sei die Voraussetzung für ein EU-China-Freihandelsabkommen. (Johnny Erling, 29.10.2015)