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Asylwerber vor dem niederländischen Erstaufnahmezentrum Ter Apel, aus dem die 14-jährige Fatema Alkasem verschwunden ist.

Foto: EPA/ROBIN UTRECHT

Die Niederlande schließen mit Beginn 2016 eine Gesetzeslücke, die es bis dato möglich gemacht hat, dass Asylwerber ihre Kinderbräute nachziehen lassen. Menschenrechtsorganisationen begrüßen das, wodurch auch Zwangsehen stärker verfolgt werden sollen.

Vermisst: Fatema Alkasem, 165 cm groß, braune Haare, braune Augen, 14 Jahre alt und hochschwanger." So lautete Anfang September ein Aufruf samt Foto der niederländischen Polizei. Sie ist auf der Suche nach einem syrischen Flüchtlingsmädchen, das kurz vor der Geburt seines Kindes nicht zu einem Krankenhaustermin erschien und spurlos aus der Erstaufnahmeeinrichtung Ter Apel im Nordosten der Niederlande verschwand. "Fatema braucht dringend medizinische Hilfe", so ein Polizeisprecher. Die 14-Jährige war im Sommer über Deutschland in die Niederlande eingereist, zusammen mit ihrem 28-jährigen Ehemann, ebenfalls ein Syrer.

"Schockierend", findet Richart Joling, sozialdemokratischer Fraktionsvorsitzender der Gemeinde, unter die auch Ter Apel fällt. Er wollte wissen, wie viele Kinderbräute sich unter den Flüchtlingen, die in den Niederlanden Asyl beantragen, befinden. Einem internen Dokument der zuständigen Immigrationsbehörde IND zufolge waren es im vergangenen Jahr 34 Personen. Inzwischen, so hat Joling herausgefunden, "sind es drei pro Woche". 22 weitere Mädchen haben 2014 im Rahmen der Familienzusammenführung versucht, in den Niederlanden wieder mit ihrem Mann vereint zu werden – darunter eine 13-Jährige und zwei 14-Jährige. Der älteste der Ehemänner ist 38 und mit einer 15-Jährigen verheiratet. "Das ist nichts anderes als Missbrauch", sagt Joling, "Missbrauch, der von der Regierung toleriert wurde."

Umstrittene Anerkennung

Denn anders als in Ländern wie beispielsweise Österreich konnten Minderjährige bis vor kurzem ganz legal als Ehefrauen in die Niederlande einreisen. Gemäß des internationalen Privatrechts hat Den Haag trotz der Kritik vieler Menschenrechtsorganisationen standesamtlich geschlossene Ehen mit Minderjährigen anerkannt – vorausgesetzt, die Ehe wurde legal geschlossen und registriert.

Doch das Verschwinden der hochschwangeren Kinderbraut Fatema brachte Jolings Kollegen in Den Haag in Zugzwang: Auf Initiative der Sozialdemokraten hat das niederländische Parlament eine Gesetzesänderung verabschiedet, die im Eilverfahren durch beide Kammern gelotst wurde und bereits am 1. Jänner in Kraft treten wird. Die Änderung macht Heiraten unter 18 Jahren unmöglich und erkennt solche Ehen grundsätzlich nicht mehr an. Ist Zwang im Spiel, kann eine Heirat verhindert werden. Darüber hinaus wird es leichter, Ehen, die unter Zwang bereits geschlossen wurden, zu annullieren.

Für die Zwischenzeit wurde zum Schutz der Kinderbräute eine Übergangsregelung getroffen: Anstatt mit ihrem Ehemann vereint zu werden, landen die Mädchen bei Pflegefamilien oder in speziellen Kinderheimen. Das gilt auch für Bräute über 18, wenn der Verdacht auf Zwang besteht. Die Mädchen selbst wollen das zwar oft nicht zugeben, "aber in den Monaten im Heim haben wir mehr Möglichkeiten, um zu prüfen, was stimmt", hofft Ineke van Winden vom Zentrum gegen Kinder- und Menschenhandel CKM in Leeuwarden.

Zahl der Kinderbräute steigt weltweit

Dort ist man so wie bei vielen Menschenrechtsorganisationen erleichtert über die verabschiedete Gesetzesänderung: "Endlich sind die Kinder besser geschützt." Van Winden schätzt, dass sich die Zahl der Kinderbräute in den Niederlanden dieses Jahr verdreifachen wird. Auch weltweit ist ihre Zahl am Steigen: Die Kinderrechtsorganisation "Save the children" hat festgestellt, dass sich die Zahl der Ehen mit Minderjährigen in den syrischen Flüchtlingslagern in Jordanien zwischen 2011 und 2013 mehr als verdoppelt hat von zwölf auf 25 Prozent.

Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass es sich oft um eine Schutzmaßnahme der Eltern handle, betont Anthropologin und Islamspezialistin Marjo Buitelaar von der Universität Groningen: "In den Lagern ist das Leben gefährlich und das Risiko einer Vergewaltigung hoch." Damit stünden das Ansehen der Mädchen und die Familienehre auf dem Spiel: "Ein vergewaltigtes Mädchen hat keine Zukunft, es lässt sich nicht mehr verheiraten." Hinzu komme, dass in vielen dieser Länder mit der ersten Menstruation das heiratsfähige Alter erreicht werde: "So wie es bei uns in Europa vor noch nicht ganz so langer Zeit ebenfalls der Fall gewesen ist."

Von Fatema fehlt auch knapp zwei Monate nach ihrem Verschwinden jede Spur. Ihr Baby muss sie längst bekommen haben. (Kerstin Schweighöfer aus Den Haag, 28.10.2015)