Iman Humaidan wird auch in ihrem nächsten Buch, "50 Gram of Paradise", das Thema Migration behandeln.

Foto: Lenos Verlag_Reine Mahfouz

Iman Humaidan
Andere Leben

Roman aus dem Libanon
Lenos-Verlag 2013

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STANDARD: Das Flüchtlingsthema steht dieser Tage im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Sie selbst mussten den Libanon im Bürgerkrieg verlassen, leben jetzt abwechselnd in Paris und Beirut. Funktioniert weibliche Migration anders als männliche?

Humaidan: Das Exil ist immer schwierig, für beide Geschlechter. Um von meiner eigenen Erfahrung zu sprechen: Beirut war im Bürgerkrieg eine geteilte Stadt, und ich selbst fühlte mich geteilt. Man musste jederzeit mit einem Überfall rechnen, wir haben uns immer wieder in den Bergen versteckt. 1982 bis 85 war die schlimmste Zeit für mich. Der Film "Stein der Geduld" von Atiq Rahimi über eine junge Frau in Afghanistan, der bei den Literaturtagen gezeigt wurde, zeigt diese Schrecken des Bürgerkriegs sehr gut: damit leben zu müssen, jederzeit überfallen, vergewaltigt oder ermordet werden zu können.

STANDARD: In Ihrem aktuellen Buch "Andere Leben" erzählen Sie die Geschichte von Myriam, die nach Jahren des Exils in Australien und Kenia nach Beirut zurückkehrt, aber es nicht wiedererkennt. Sie schreiben: "Beirut hat sich nicht verändert, und dennoch – es hat seine Seele verloren." Wie ist es, zurückzukehren?

Humaidan: Myriam ist in einer halbwegs privilegierten Situation. Sie ist gut ausgebildet, und flieht mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg nach Australien, wo schon ein Onkel lebt. Ihr Bruder wurde von einer Granate getötet, ihr Vater ist mental schwer angeschlagen, ihre Mutter verstummt ob des Schocks. Also muss sie sich um den Verkauf des elterlichen Hauses in Beirut kümmern und kehrt nach 15 Jahren erstmals zurück. Aber das Land ihrer Jugend gibt es nicht mehr.

STANDARD: Sie selbst fliegen, wie Sie erzählt haben, ungefähr alle drei Monate von Paris nach Beirut.

Humaidan: Ja, und jedes Mal ist es schwer. Die Vorstellung, was in diesen drei Monaten wieder Schreckliches passiert ist in dieser Region.

STANDARD: In der Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien wird oft angemerkt, dass es vor allem die Männer seien, die fliehen.

Humaidan: Natürlich. Sie versuchen, die Frauen und Kinder an halbwegs sicheren Orten zurückzulassen, und nehmen diese gefährliche Reise auf sich, um sie dann nachzuholen. Aber diese "sicheren Orte" sind sehr instabil und können sich in Kriegsgebieten von einem Tag auf den anderen ändern. Man weiß eigentlich nicht, welches Risiko das größere ist.

STANDARD: Auch in Ihrem nächsten Buch, "50 Gram of Paradise", das 2016 auf Deutsch erscheint, wird es wieder um ein Migrationsthema gehen.

Humaidan: Ja, eine syrische Journalistin, eine Kurdin und eine Libanesin treffen aufeinander. Sie alle haben unterschiedliche Emigrationserfahrungen.

STANDARD: Gibt es reale Vorbilder für diese Charaktere?

Humaidan: Ja, alle drei beruhen auf wahren Lebensgeschichten. Zwei der Frauen habe ich persönlich kennengelernt, die syrische Journalistin war zum Zeitpunkt meiner Recherche bereits getötet worden. Ich habe das Buch im April dieses Jahres beendet.

STANDARD: Sie schreiben Ihre Bücher, anders als Ihre Reportagen, nach wie vor auf Arabisch – anders als zum Beispiel Atiq Rahimi, der wie Sie in Paris lebt und nun auf Französisch schreibt. Er sagt, er umgehe so die Tabus der Muttersprache.

Humaidan: Arabisch ist, wenn es um bestimmte Themen wie Sexualität geht, eine sehr "zensurierte" Sprache. Trotzdem schreibe ich auf Arabisch. Mal sehen, ob sich das noch ändert. (Tanja Paar, 28.10.2015)