Jacob deGrom (27) von den New York Mets hat sich zu einem der besten MLB-Pitcher entwickelt.

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Gerade noch geschafft: Royals-Spieler Lorenzo Cain slidet im sechsten Halbfinal-Spiel gegen Toronto auf die Home Base.

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Daniel Murphy (30) von den Mets stellte einen Rekord auf: Ihm gelangen Home Runs in sechs aufeinanderfolgenden Play-off-Spielen.

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Royals-Pitcher Johnny Cueto (29) hält in der Postseason bei 15 Strike Outs.

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"Simpsons"-Werbeclip zur World Series.

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Alle Dämme brechen: Die Mets stehen zum ersten Mal seit 15 Jahren in der World Series.

Wien – Der Schlagmann der Springfield Isotopes trifft den Baseball genau richtig. Mit voller Wucht steigt er in den Nachthimmel, fliegt am Atomkraftwerk vorbei hinaus ins Weltall, bis er die Scheibe des Raumschiffes zweier Aliens zerschmettert. Was sich wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Roman liest, ist die Begegnung zweier amerikanischer Institutionen. Mit den gelben Figuren aus der Zeichentrickserie "Die Simpsons" wirbt der TV-Sender Fox für die World Series, die Finalspiele der nordamerikanischen Baseball-Profiliga MLB, die ab Dienstag über die Bühne gehen. Die Mets aus New York treffen in einer Best-of-Seven-Serie auf den Vorjahresfinalisten Kansas City Royals. Der Clip ist nur eines aus einer endlos wirkenden Reihe an Beispielen für die Verankerung des Baseballs in der amerikanischen Popkultur.

Mehr als ein Sport

Immer wieder machten Filmemacher, Schriftsteller, Musiker Baseball zum Sujet ihrer Werke. 1898, als das Kino noch in den Kinderschuhen steckte, brachte Thomas Edison den Sport erstmals auf die Leinwand. "The Ballgame" dauerte keine Minute und zeigte Szenen aus dem Spiel zweier Newarker Amateurmannschaften. Der New Yorker Autor Paul Auster feierte mit dem Baseballroman "Squeeze Play" sein Debüt, Philip Roth widmete sich in "The Great American Novel" seinem Lieblingssport. Wenn in den Ballparks die Baseballhymne "Take Me Out To The Ballgame" angestimmt wird, kennen sogar Kinder den Text auswendig. Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen.

"America’s Game" oder "National Pastime", wie Baseball am anderen Ufer des Atlantiks genannt wird, ist weit mehr als bloß Sport. Er bereicherte sogar die amerikanische Umgangssprache um zahlreiche Metaphern. Noch immer messen amerikanische Teenager ihre sexuellen Erfahrungen etwa daran, ob sie mit ihrem Partner die First, Second oder Third Base erreichen, um am Ende zu "scoren".

American Dream und Baseball-Matrix

Warum zieht aber ein Sport, der in Europa gemeinhin als langsam und fad gilt, in den USA Millionen von Fans und so viele Künstler in seinen Bann? Johannes Godler wagt sich an den Versuch einer Erklärung. Fast zehn Jahre lang pitchte der 26-Jährige für die Vienna Wanderers. Eine Schulterverletzung zwang ihn, den Baseballhandschuh Ende September an den Nagel zu hängen. "Die Amerikaner lieben Statistiken", sagt er. Im Baseball ließe sich so vieles wie in keiner anderen Sportart statistisch auswerten. Home Runs, Strikeouts, Hits – alles wird gezählt und analysiert, um die Matrix eines Spiels zu entschlüsseln. Wie in anderen US-Sportarten gebe es auch im Baseball die "klassischen Cinderella-Storys": Wer kennt ihn nicht, den ehrgeizigen Pitcher – oft aus ärmlichen Verhältnissen stammend – der durch harte und ehrliche Arbeit zum gefeierten Volkshelden wird?

Helden sind für viele New Yorker derzeit die Mets. Auffällig viele Bewohner des Big Apple schlendern mit Kappen und in Pullovern der Franchise durch die Straßen, sagt Christian Tomsich. Der 37-jährige Wahl-New Yorker ist Pitcher der Vienna Wanderers und war einst Baseballprofi in Texas. "Immer wieder kommen Menschen ins Gespräch, ohne sich vorher jemals gesehen zu haben. Andere rufen plötzlich: "Let’s Go Mets!" Die Bars seien während der Spiele gerammelt voll. Auch in Kneipen, die in der Play-off-freien Zeit spärlich besucht werden, legen Mets-Fans schon mal Bier und Burger beiseite, um die Fäuste für ihr Team zu ballen. Immerhin mussten sie 15 lange Jahre warten, bis die Mets wieder ins Finale einzogen – es war die längste Durststrecke der 1962 aus der Taufe gehobenen Franchise.

New Yorker Power Pitching

Die Mets gehen für Tomsich als Favorit in die World Series. Die gefährlichsten Waffen der Titelträger von 1969 und 1986 sind ihre Starting Pitcher (Werfer). "Jacob deGrom, Noah Syndergaard aber auch Matt Harvey waren in den letzten Wochen fast unschlagbar", sagt Tomsich. DeGrom gelangen in der Postseason bisher 27 Strikeouts, Syndergaard immerhin 20. "Beide können Bälle mit viel Spin werfen", erklärt Johannes Godler. "Wenn ein Ball gerade auf einen Hitter zukommt, ist er ja relativ leicht zu schlagen."

Auch auf die Abwechslung komme es beim guten Pitchen an. Vier, manchmal fünf verschiedene Wurftechniken haben starke Pitcher im Repertoire. Das Variieren der Würfe erschwert dem Hitter, sich auf die Flugbahn der Bälle einzustellen. DeGrom sei zudem für seine sogenannten off-speed pitches bekannt. Godler: "Diese Pitches kommen ein bisschen langsamer daher. Wenn man sie mit harten Würfen abwechselt, wird der Rhythmus des Schlagmannes gestört." DeGrom, Syndergaard und Harvey werfen präzise und für Starters, die sich ihre Kräfte über mehrere Innings aufteilen müssen, ungemein fest. Mit bis zu 160 Stundenkilometern schicken die Wurfmaschinen der Mets die Bälle auf die Reise.

Überflieger Murphy mit Home-Run-Rekord

Ein weiterer Star der Postseason ist Daniel Murphy. Im letzten Halbfinal-Spiel gegen die Chicago Cubs stellte er einen Rekord auf, indem er in sechs aufeinanderfolgenden Play-off-Spielen einen Home Run schlug. Damit übertraf er die Bestmarke des damaligen Houston Astros-Spieler Carlos Beltran aus dem Jahr 2004. Und das, obwohl die Mets in der ersten Saisonhälfte offensiv für wenig Furore sorgten. Deshalb mussten im Sommer neue Spieler verpflichtet werden, wie etwa Yoenis Céspedes von den Detroit Tigers. "Céspedes ist ein Power Hitter", sagt Godler. "Sein Schlagdurchschnitt ist zwar nicht wahnsinnig hoch, viele Bälle landen im Out. Dafür schlägt er viele Home Runs. Jede Spielweise hat im Baseball seine Vor- und Nachteile."

Der Outfielder sei auch ein starker Verteidiger, da er einen "guten Arm" habe und für "wichtige Outs" sorge. Die Mets hätten auch eine gute Mischung aus jungen und älteren Spielern, sagt Tomsich. "Die Mannschaft ist zwar eher jung, sie haben aber auch erfahrene Leute. Relief – und somit Einwechsel-Pitcher Bartolo Colón – für Starting Pitcher ist es in der Regel körperlich zu anstrengend ein gesamtes Spiel zu werfen – zählt etwa schon 42 Lenze. Die einzige Schwäche, die Tomsich den Mets attestiert ist das restliche Bullpen, die weiteren Ersatz-Pitcher also: "Jeurys Familia, der als Closer immer gegen Ende der Partie bei knappem Spielstand aufs Feld kommt ist stark. Die restlichen Relief Pitcher gehören aber nicht zu den Besten der Liga."

Kansas City setzt Sportmärchen fort

"Die Royals haben schon im vergangenen Jahr ihre Märchengeschichte geschrieben", sagt Tomsich. Während die Franchise aus dem Bundesstaat Missouri in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu den Prügelknaben der Liga zählte, scheiterte sie in der jüngsten World Series mit 3:4 denkbar knapp an den San Francisco Giants. Tomsich: "Die Fans der Royals waren es immer gewohnt, zu verlieren. Seit der vergangenen Saison ist die Atmosphäre fantastisch, der Zusammenhalt in der Mannschaft ist groß."

Es sei eine Mannschaft, die sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt habe, sagt Godler. "In der Offensive sind die Royals sehr produktiv. In der Regel heben sich die ersten vier Hitter eines Teams qualitativ von ihren Kollegen ab. Die Royals sind aber durchwegs gut besetzt." Und aggressiv. Im Baseball unterscheide man, sagt Godler, zwischen abwartenden und aggressiven Teams. "Die eine Möglichkeit ist, sich so viele Würfe, wie möglich anzuschauen, um ein Gefühl für die Pitches zu bekommen." Die Royals hingegen gehen oft "auf den ersten Ball", halten dadurch die gegnerische Defensive auf Trapp und machen sie müde. Eine weitere Stärke der Royals ortet Godler in der Defensive: "In der Verteidigung haben sie sehr agile und athletische Spieler, die sich in der gesamten Postseason erst einen Error geleistet haben." Pitcher wie Edinson Volquez und Johnny Cueto seien zwar nicht schlecht, zählen aber nicht zur Weltelite, sagt Tomsich.

Ein Triumph würde für beide Teams das Ende einer langen Durststrecke bedeuten. 1985 gewann Kansas City zum ersten und einzigen Mal die World Series. Ein Jahr darauf sicherten sich die Mets ihren bis dato letzten Titel. Am Ende der Serie wird der Baseball jedenfalls um einige Geschichten reicher sein. Es bleibt abzuwarten, ob es dramatische, humorvolle oder kitschige werden. (Kordian Prokop, 26.10.2015)

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