Die industrielle Geschichte prägt Ancoats in Manchester noch heute. Es galt 2000 als gescheitert, heute werden Wohnungen hier gebaut.

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Die "Wiege der industriellen Revolution" stand in Manchester, genauer gesagt im Stadtteil Ancoats. Dem Viertel, das einst die "erste industrielle Vorstadt" der Welt war, sieht man die Vergangenheit noch heute an jeder Ecke an: Wuchtige Ziegelbauten, in denen einst Fabriksarbeiter ihrer Arbeit nachgingen, stehen neben Mühlen, die schon lange stillstehen. Ab den 1930er-Jahren kam der Region ihre Textilindustrie abhanden, dann folgte der Exodus der Bewohner: "Das Viertel galt 2000 als gescheitert", berichtet Phil Collings von der staatlichen Homes & Communities Agency.

Heute befindet sich Manchester wieder im Aufschwung: Es gilt als die – nach London – am stärksten wachsende Stadt in Großbritannien. In den nächsten zehn Jahren werden laut Prognosen 100.000 Menschen hierherziehen – und immer mehr von ihnen wollen im Stadtzentrum leben. Wohnten 1990 laut einem Report des Immobilienunternehmens Turley lediglich 90 (!) Personen im Zentrum, sind es heute 28.500. Von der Stadt wurden seither "Areas of Growth" definiert, die mithilfe von Investoren entwickelt werden. 55.000 Wohnungen sollen in den nächsten Jahren entstehen. Die Arbeiten dafür laufen auf Hochtouren: Derzeit ist an jeder Straßenecke Baulärm zu hören.

Auch Ancoats wurde zur "Area of Growth". Es liegt nur wenige Minuten Fußmarsch vom Stadtzentrum entfernt und ist von Kanälen durchzogen. Die Stadt hat den Eigentümern hier ihre Liegenschaften abgekauft. Wer nicht kooperieren wollte, dem wurde gar mit Enteignung gedroht – in den überwiegenden Fällen sei man sich aber einig geworden, sagt Collings. Dann wurde mit den teils denkmalgeschützten Gebäuden um internationale Investoren geworben, beispielsweise auf der heurigen Expo Real in München, wo sich die ehemalige Industriestadt erst vor kurzem präsentierte.

Der bisher größte Fisch an der Angel: Mit der Abu Dhabi Group wurde im Vorjahr ein über zehn Jahre laufendes Abkommen getroffen. In einer ersten Phase investiert diese 65 Millionen Pfund. Vorgaben in puncto Mietobergrenzen macht die Stadt den Investoren dabei übrigens nicht. Und die könnten demnächst auch aus China und Malaysia kommen, hofft man in Manchester. Denn einige Grundstücke sind noch frei.

Widerstand von Bewohnern

Die Stadt kauft die Erdgeschoßzonen nach Fertigstellung zurück und wählt die Shopmieter selbst aus: "Wir wollten sicherstellen, dass lokale Unternehmen hier einziehen", sagt Deborah McLaughlin von Manchester Place, einer Partnerschaft zwischen der Stadt und der staatlichen Homes & Communities Agency.

Vonseiten der Bevölkerung habe es in den ersten Jahren der Entwicklung Widerstand gegeben, sagt Collings. Denn dass die Preise im neuen Stadtviertel über dem liegen, was früher gezahlt wurde, liegt auf der Hand: Wo früher 300 Pfund Miete im Monat verlangt wurden, sind es heute 1100 Pfund. Auf 3000 Pfund pro Quadratmeter kommt eine Eigentumswohnung beispielsweise im denkmalgeschützten Projekt Royal Mills, sämtliche Apartments hier sind bereits vergeben. Der Widerstand der Bevölkerung habe sich mittlerweile gelegt, so Collings. Nun würde sie nämlich erkennen, dass das Konzept angenommen wird.

So positiv spricht man nicht überall in der 500.000-Einwohner-Stadt. Einen Tag bevor David Cameron zum Parteitag der Tories nach Manchester reiste, hatte der Wohnungsunternehmensberater Derek Long das Jahr 2015 als "Wendepunkt für den sozialen Wohnbau" des Landes bezeichnet. Anfang Oktober mussten die britischen Wohnungsgenossenschaften darüber abstimmen, ob sie das "Right to Buy" einführen wollen oder nicht. Eine Wahlmöglichkeit habe es aber nicht wirklich gegeben, sagt Long, die Genossenschaften hatten nur acht Tage Zeit für die Abstimmung, was heftig kritisiert wurde. Sie haben am Ende knapp dafür gestimmt.

Nach Plänen der konservativen Regierung müssen die Housing-Associations nun Mietern, die mehr als drei Jahre in ihren Wohnungen leben, das "Right to Buy" einräumen. 1,2 Millionen Wohnungen im Land sind davon betroffen. Je nachdem, wie lange sich die Mieter bereits in der Wohnung befinden, müssen ihnen Rabatte von bis zu 78.000 Pfund auf den Kaufpreis gewährt werden. So will die Regierung den Briten dabei helfen, Hausbesitzer zu werden. Während die Eigentumsquote in Österreich bei 55 Prozent liegt, liegt diese in Großbritannien bei rund 65 Prozent – eine für Westeuropa ungewöhnlich hohe Zahl.

Zu wenig Leistbares

"Die Briten haben ein starkes Verlangen danach, Eigentümer zu werden", erklärt McLaughlin. Der Tradition komme man mit Programmen wie "Help to Buy" entgegen. Die Kehrseite der Medaille: Millionen von Briten sind hochverschuldet. Sie kaufen, ohne es sich leisten zu können, weil Mieten einen schlechten Ruf hat.

"Dies könnte das Ende von Genossenschaften sein, wie wir sie heute kennen", meinte Long über das "Right to Buy", das ab 2016 in Kraft tritt. Denn damit würden leistbare Mietwohnungen vom Markt verschwinden. "Und davon gab es zuvor schon nicht genug", so Long. Innerhalb zweier Jahre müssen die Wohnungen vonseiten der Housing-Associations ersetzt werden, erklärt Long. Diese "replacement homes" müssen nicht in derselben Gegend errichtet werden, daher würden die neuen Wohnungen wohl in schlechteren Gegend liegen und kleiner ausfallen: "Denn um die wenigen freien Flächen werden alle Housing-Associations rittern", sagt Long. Auch ein "portable discount", also ein Rabatt, der auch auf andere Wohnungen als die eigene angewandt werden kann, wenn diese nicht verkauft werden kann, erzürnt ihn.

In Großbritannien übernehmen Housing-Associations auch andere Aufgaben. Sie bieten Bewohnern beispielsweise Sozialdienste wie Job-Training oder Familieninterventionen an. Damit könnte aber angesichts der monetären Situation bald Schluss sein, befürchtet Ian Munro von New Charter. Denn die Mieten müssen für die nächsten vier Jahre um ein Prozent pro Jahr gesenkt werden – anstatt wie bisher um ein Prozent erhöht werden.

All das sorgte für Kopfschütteln beim Verein für Wohnbauförderung, der vor kurzem Manchester besuchte. "Die Zentralregierung scheint den Weg, den man in Manchester bisher gegangen ist, zu konterkarieren", urteilte Markus Sturm, Obmann des Verein für Wohnbauförderung. Was fehle, sei ein ausgeglichener Mietwohnungsmarkt. "Es wird nie möglich sein, hundert Prozent der Menschen zu Eigentümern zu machen – die Frage ist auch, ob das überhaupt wünschenswert ist."

Schwierige Investorensuche

Nicht nur Unterschiede, sondern auch die eine oder andere Ähnlichkeit fand Karl Wurm, Obmann des Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen: Denn auch hierzulande seien öffentliche Mittel knapp, in Ballungszentren werde aber mehr Wohnraum benötigt. Ganz so weit wie in Großbritannien sei man in Österreich zwar freilich noch nicht: "Aber wenn der Druck groß ist, und der kann sehr groß werden, wenn der Zuzug in dieser Form bleibt, wird man froh sein, wenn man einen Investor findet" – und zwar einen, dem man, so wie in Manchester, eben auch viel Freiheit lassen müsse. (Franziska Zoidl, 26.10.2015)