Konfrontation mit den Gräueln der Vergangenheit: Adi R. mit seiner Mutter in "The Look of Silence".

Foto: Viennale

STANDARD: Wie haben Sie Joshua Oppenheimer kennengelernt?

Adi R.: Joshua kam 2003 in mein Dorf und begegnete dort meiner Mutter. Er fragte nach meinem älteren Bruder Ramli und was 1965 geschehen war. Seit ich ein Kind war, habe ich davon geträumt, dass Ramlis Ermordung und der Genozid endlich zur Kenntnis genommen werden würden. An einen Film habe ich nie gedacht – selbst mit Nachbarn über 1965 zu sprechen war verboten und gefährlich. Auf dem Höhepunkt der Militärdiktatur wäre es Selbstmord gewesen.

STANDARD: Und heute?

Adi R.: Die Bedrohung hat sich nicht verändert, weil die Täter in den Machtpositionen geblieben sind. Es gibt immer noch Einschüchterung und Gewalt, um das Schweigen aufrechtzuerhalten – auch wenn 50 Jahre vergangen sind.

STANDARD: Wie haben Sie die Begegnungen mit den Tätern erlebt?

Adi R.: Anfänglich hoffte ich, so sagte ich es auch Joshua, dass sie bedauern würden, was sie getan hatten. Aber diese Entschuldigung habe ich nie bekommen. Die Einzige war die Tochter eines der Täter. Am Anfang unserer Begegnung hielt sie ihren Vater noch für einen Helden, aber im Gespräch begriff sie, dass er Schreckliches getan hatte. Sie hat das anerkannt und schließlich um Vergebung gebeten. Das war eine große Erleichterung für mich.

STANDARD: Sie haben sich sehr gegenüber den Mördern exponiert. Haben Sie damit gerechnet, Ihre Heimat verlassen zu müssen?

Adi R.: Nicht von Anfang an, aber ein Jahr bevor der Film herauskam, haben wir mit der Crew darüber gesprochen wegzugehen. Wir haben ein neues Zuhause gefunden, und obwohl ich mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder gemacht habe, hat sich alles zum Positiven gewendet. Ihre Schule ist viel besser, und wir leben in viel größerem Frieden, weil wir nicht mehr von den Mördern umgeben sind.

STANDARD: Verbergen Sie heute Ihre Identität?

Adi R.: In meiner neuen Heimat wissen die Menschen nicht, dass ich aus einer Familie komme, die beschuldigt wurde, kommunistisch zu sein.

Joshua Oppenheimer (der das Interview bis jetzt übersetzt hat, interveniert): Aber sie wissen, dass du der Protagonist des Films bist. Und du bist oft in den Medien.

Adi R.: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich erkannt werde, und ich sage es den Leuten auch nicht von mir aus.

STANDARD: Hat der Film in Indonesien eine reale Veränderung der Wahrnehmung der Opfer und der Situation ihrer Familien bewirkt?

Adi R.: Ich spüre das sehr stark. Zum ersten Screening von The Look of Silence sind 3000 Leute gekommen, und es wurde von der National Human Rights Commission und vom Jakarta Arts Council präsentiert, staatlichen Organisationen. Bis heute gab es in Indonesien über 3500 Aufführungen. Die beiden Filme haben den Weg für das Ende von 50 Jahren Schweigen geöffnet. Die Überlebenden haben viel mehr Mut gewonnen, über ihre Erfahrungen und die Fakten zu sprechen. Das haben wir uns so sehr gewünscht. Zugleich haben ausländische Medien, auch die deutschen, den Druck auf die Regierung erhöht, ihre Rolle in den Verbrechen gegen die Menschlichkeit von 1965 anzuerkennen.

Die Menschenrechtsverletzungen haben damals begonnen, aber sie sind seitdem weitergegangen. Keiner der Täter ist jemals vor Gericht gestört worden, weil es der Staat ist, der diese Verbrechen begeht. Die Täter machen immer noch weiter. Sie sind stolz auf sich, und sie präsentieren sich als Helden. (Robert Weixlbaumer, 21.10.2015)