Immer wieder machten sich Gruppen von Flüchtlingen auf eigene Faust auf den Weg in Richtung slowenisch-österreichische Grenze.

Foto: Walter Müller

Sentilj/Spielfeld – Tanja Luzar und Nada Strnad kommen täglich für ein paar Stunden hierher an die slowenische Grenze, um zu helfen. Luzar arbeitet als Dramaturgin, Strnad als Souffleuse im Nationaltheater Maribor. "Es ist furchtbar, Kinder kommen barfuß an, sie haben keine Schuhe, kaum Gewand", sagt Tanja Luzar und befreit sich vom weißen Mundschutz. Sie hatten vorhin eine verletzte Frau zu versorgen. "Sie fror und hatte Wunden am rechten Bein", sagt Strnad.

Etwa 1700 Flüchtlinge werden an diesem Dienstagmittag an der slowenischen Grenze, in Sentilj, mit Wasser, Essen und Kleidung versorgt. "Wir haben die Sache im Griff", sagt ein Polizeibeamter. Peu à peu werden die Flüchtlinge in Gruppen zu der wenige Hundert Meter entfernten steirischen Grenze geleitet. Am Abend kommen weitere 4500. Da viele Hunger hatten, kam es laut Polizei bei der Essensausgabe auch zu Tumulten.

Zur steirischen Grenze geleitet

Etliche machen sich in Sentilj auch selbstständig auf den Weg. "Wo, bitte, geht es hier nach Österreich", fragt ein junger Mann und holt sein Handy aus der Hosentasche. Er scrollt über den Bildschirm, unzählige Fotos huschen vorbei. "Hier habe ich meine ganze Geschichte dokumentiert, meine ganze Reise aus dem Irak." Wo er denn hinwolle? "Nach Deutschland."

In der kleinen Zeltstadt in Sentilj dreht sich alles nur um die einzig relevante Frage: Wo und wann geht es weiter? Junge Männer sitzen am Boden und breiten vor sich die slowenischen Bescheinigungen ihrer Daten aus. Kinder tollen um die langen Zelte herum, Familien stehen eng beieinander und beraten. Auch Etham, Hamid und Ahmael stecken die Köpfe zusammen und suchen nach einem Plan, wie es weitergehen soll. Etham und Ahmael kommen aus Afghanistan, Hamid aus dem Iran. 10.000 Euro hätten sie bis jetzt zahlen müssen. Hamid sagt, er sei Tenniscoach gewesen, Achmael möchte in Deutschland studieren und Etham am liebsten was mit Computer arbeiten. Er möchte nach Finnland. Ob es günstig wäre, mit dem Taxi nach Österreich zu fahren, fragt ein vorbeigehender junger Mann.

Polizei um geordneten Grenzübertritt bemüht

Irgendwer in der Menge erhält von irgendwem die Information, dass die österreichische Grenze ja nur ein paar Hundert Meter weiter entfernt sei, und stapft los. Dutzende folgen ihm: Frauen mit Einkaufssäcken, in denen alle Habseligkeiten der Familie verstaut sind, ältere Menschen, viele Kinder und Männer wandern in Decken gehüllt auf den Zuggleisen Richtung Spielfeld. Etliche werden von der slowenischen Polizei wieder zurückgedrängt. Man sei um einen geordneten Grenzübertritt bemüht, sagt ein Beamter.

Jenseits der Grenze begleiten die dortigen Polizisten die Flüchtlinge, die sich auf eigene Faust und mit "Deutschland, Deutschland"-Rufen nach Österreich aufgemacht hatten, ins große Betreuungszelt, wo sie abermals registriert und anschließend in Unterkünfte in Graz oder andere Bundesländer gebracht werden.

Bundeskanzler Werner Faymann erklärte in diesem Zusammenhang, dass mit dem Durchgriffsrecht bisher 1700 Betreuungsplätze geschaffen worden seien. Proteste dagegen wurden am Dienstag in Leoben laut. Dort soll in einem ehemaligen Baumarkt ein Asylquartier für 450 Flüchtlinge entstehen. Bürgermeister Kurt Wallner (SPÖ) will den Bescheid jetzt rechtlich prüfen lassen.

(Walter Müller, 21.10.2015)