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"Wir können inhaltlich gar nicht an einem Strang ziehen", sagt Hans Niessl zur Positionierung seiner Partei.

Foto: apa/Jaeger

Das Burgenland sei das menschliche Gesicht Österreichs, sagt Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ). "Von CNN in den USA bis zu Al-Jazeera im arabischen Raum" zeige sich das. In der rot-blauen Koalition in seinem Bundesland sieht er keine ideologische Frage. Von der eigenen Partei erwartet sich Niessl, dass sie akzeptiert: "In der burgenländischen FPÖ sind Leute, denen man nichts vorwerfen kann."

STANDARD: Die Sozialdemokratie – wie ließe sich die einem grundsätzlich Interessierten, aber weitgehend Unkundigen in ein paar Sätzen erklären?

Niessl: Die Sozialdemokratie hat ein paar ganz zentrale Schwerpunkte. Da ist einmal der Bildungsbereich – barrierefrei von der Kinderkrippe bis zur Universität. Denn die Zukunft des Landes wird im Klassenzimmer entschieden. Ganz wichtig ist der Sozialbereich – Armutsbekämpfung, soziale Absicherung, medizinische Betreuung, Pflege. Und der dritte Bereich ist natürlich Arbeit.

STANDARD: Ich frage das deshalb, weil die SPÖ nun allerorten um eine Neupositionierung ringt. Michael Häupl fordert das, Sie fordern das, eine Gruppe um den Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler auch. Und das sind nur drei Beispiele. Täuscht der Eindruck, dass die Debatte da in unterschiedliche Richtungen geht?

Niessl: Ich habe drei ganz zentrale Punkte genannt. Vielleicht habe ich einen offeneren Zugang. Denn ich sage, mit wem ich diese Punkte umsetzen kann, der ist mein Partner. Da unterscheide ich mich von manchen in der Sozialdemokratie, die das etwas anders sehen.

STANDARD: Die rote Gretchenfrage war doch über viele Jahre: Wie hältst du es mit der FPÖ? Hat die burgenländische SPÖ mit Rot-Blau diese Gretchenfrage aus dem Spiel genommen?

Niessl: Generell würde ich das nicht sagen. Mein Zugang ist: Politik wird von Menschen gemacht. Und es gibt wohl niemanden, der meinem Regierungspartner vorwerfen kann, extreme Positionen einzunehmen. Die Sicherheit hat nun einen höheren Stellenwert, da die FPÖ dabei ist. Aber auch mir ist die Sicherheit wichtig. Das ist keine ideologische Frage. Man sollte akzeptieren, dass in der burgenländischen FPÖ Leute sind, denen man nichts vorwerfen kann. Anders als zum Beispiel in Wien, wo man manchen schon Vorwürfe machen könnte in dem einen oder anderen Bereich.

STANDARD: In welchem?

Niessl: Wenn gegen Flüchtlingskinder demonstriert wird zum Beispiel. Das hat es im Burgenland nicht gegeben. In Nickelsdorf, einer Gemeinde mit 1.300 Einwohnern, wurden mehr als 200.000 Flüchtlinge aufgenommen, verpflegt, medizinisch versorgt. Und es hat keine einzige Demonstration dagegen gegeben. Anders als in Lampedusa, wo über einen weit längeren Zeitraum 240.000 gekommen sind. Dort gibt es Demonstrationen, in Wien gibt es Demonstrationen, in Vorarlberg hat es schon Vorfälle gegeben. Bei uns wird das perfekt abgewickelt. Das Burgenland ist das menschliche Gesicht Österreichs. Von CNN in den USA bis zu Al-Jazeera im arabischen Raum.

STANDARD: Warum weht Ihnen dann eine so kritische Stimmung entgegen, auch in der eigenen Partei?

Niessl: Offenbar will man nicht sehen, was da geleistet wurde und wird. Weil es offensichtlich nicht sein darf, dass die FPÖ in der Regierung ist und die Flüchtlingsfrage problemlos abläuft.

STANDARD: So sieht man das in der Bundes-SPÖ und in Wien?

Niessl: Einzelne. Das ist ja nicht die ganze SPÖ. Ich habe noch nichts gehört von der steirischen SPÖ, von der Kärntner SPÖ, von der Salzburger oder der niederösterreichischen SPÖ.

STANDARD: Michael Häupl ist in die Wahl gegangen mit der Versicherung: Ihr braucht euch nicht zu fürchten, bei uns gibt es keinen Niessl.

Niessl: Der Wiener Bürgermeister hat einen sehr gut positionierten Wahlkampf gemacht mit der Duellsituation. Wien ist anders in vielen Bereichen. Aber das Burgenland auch. Ich respektiere, dass er seine Wahlen in dieser Form macht. Und wir erwarten, dass unser Weg im Burgenland genauso respektiert wird.

STANDARD: Wird er das in der Partei?

Niessl: Wir haben mit 42 Prozent das beste Wahlergebnis aller sozialdemokratischen Parteien in Österreich, 2015 das beste Ergebnis aller Parteien in Österreich, und wir liegen im Länderranking aller Parteien nach der ÖVP Niederösterreich an zweiter Stelle. Man sollte sich anschauen, wo man gute Wahlergebnisse hat und wo schlechte.

STANDARD: Das müsste auch Werner Faymann interessieren. Soll, wird er die SPÖ 2018 in die Nationalratswahl führen?

Niessl: Ich halte von diesen Diskussionen überhaupt nichts. Mich interessiert, wie man die SPÖ positioniert, um Wahlen zu gewinnen. Inhaltlich, strukturell. Zu glauben, man tauscht eine Person aus, und damit sei das Problem gelöst, ist Unfug.

STANDARD: Vorher meinten Sie, Politik werde mit Menschen gemacht.

Niessl: Genau. Also muss ich mich so positionieren, dass ich mit Menschen Politik machen kann. In manchen Bereichen ist die SPÖ so positioniert, dass man nicht mit den Menschen Politik machen kann.

STANDARD: Und zwar wo?

Niessl: Wenn manche, die bei den letzten Wahlen 23 Prozent verloren haben (wie bei der heurigen Gemeinderatswahl in Schwechat, Anm.), großartig Ratschläge erteilen wollen, dann schätze ich das nicht sehr. Manche in der SPÖ sind so positioniert, dass man halt keine Wahlen gewinnt.

STANDARD: Müsste die gesamte SPÖ nicht doch mehr an einem Strang ziehen?

Niessl: Wir können inhaltlich gar nicht an einem Strang ziehen. In der SPÖ muss man sich von manchen Zentralisten verabschieden, die glauben, sie können von Wien bis ins Burgenland und bis nach Vorarlberg alles zentral festlegen. Man muss eine gewisse Eigenständigkeit der Länder akzeptieren. Und dann sich anschauen: Wer hat erfolgreiche Wahlergebnisse. Das ist ja das Entscheidende: Wie gewinnt die SPÖ Wahlen? Und zwar auf allen Ebenen.

STANDARD: Aber zu jeder Wahl tritt man doch als die eine SPÖ an.

Niessl: Trotzdem gibt es in jedem Land andere Schwerpunkte. Es gibt gewisse Grundsätze. Aber es muss auch gewisse Freiheiten geben. Wer glaubt, 2.100 Gemeinden ein gemeinsames Konzept vorgeben zu können, wird dann eher weniger Bürgermeister dort vorfinden.

STANDARD: Es läuft gerade eine Programmdiskussion in der SPÖ. Bringt sich das Burgenland da entsprechend ein mit diesen forciert föderalistischen Positionen?

Niessl: Wir halten uns bei dieser Programmdiskussion bis jetzt relativ stark zurück. Vielleicht habe ich nach 30 Jahren in der Kommunal- und Landespolitik einen zu pragmatischen Zugang. Es nützt das beste Programm nichts, wenn du es nicht umsetzt. Was hat Einstein gesagt? Die Idee ist ein Prozent, die Umsetzung 99 Prozent. Ich bekenne mich zu den 99. Erfolg hat für uns drei Buchstaben: tun. (Wolfgang Weisgram, 20.10.2015)