Berlin – Die Steuern in Deutschland müssen nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) trotz der Flüchtlingskrise nicht steigen. "Steuererhöhungen sind nicht notwendig und wären kontraproduktiv", sagte DIW-Chef Marcel Fratzscher zu "Spiegel Online" am Freitag. "Der deutsche Staat macht mehr als ausreichende Überschüsse, um die Mehrausgaben zu stemmen."

Damit widerspricht Fratzscher dem Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen. Dieser hatte im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur prophezeit, der Andrang von Flüchtlingen werde zu massiven Steuererhöhungen führen. Raffelhüschen argumentierte, rund 70 Prozent der Flüchtlinge seien für den deutschen Arbeitsmarkt unqualifiziert und würden das Sozialsystem belasten. Die entstehenden Kosten könne nur der Steuerzahler tragen.

"Wenn Flüchtlinge keine ausreichenden Qualifikationen haben, dann muss man sie ihnen geben", entgegnet Fratzscher. Die dafür notwendigen Investitionen seien lohnenswert und angesichts derzeitiger Budgetüberschüsse problemlos möglich.

Ein Fünftel mehr Sozialhilfeempfänger

Nach Erkenntnissen der Bundesagentur für Arbeit (BA) macht sich die Flüchtlingskrise in Deutschland zunehmend auch in den Jobcentern bemerkbar. Im Juni lag die Zahl der Bezieher von Sozialleistungen aus Krisenländern um 23 Prozent höher als vor einem Jahr, wie aus BA-Unterlagen hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen.

Die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die auf sogenannte Hartz-IV-Leistungen angewiesen seien, habe sich in dem Zeitraum sogar mehr als verdoppelt. Über die Entwicklung hatte zuerst die "Süddeutsche Zeitung" (Freitag) berichtet.

"Hartz IV" – benannt nach dem früheren VW-Manager Peter Hartz – ist in Deutschland der gebräuchliche Name für ein Programm zur Unterstützung von Langzeitarbeitslosen.

Nach Bundesagentur-Angaben stammte im Juni jeder 16. Hartz-IV-Bezieher aus einem sogenannten Asylzugangsland; nicht alle, aber die meisten davon dürften nach BA-Einschätzung Flüchtlinge sein.

Vor gut einem Jahr war es nur jeder 20. gewesen. Insgesamt hatten im Juni 435.800 Menschen aus Krisenländern das sogenannte Arbeitslosengeld II bezogen – und damit 82.500 mehr als vor einem Jahr. Mehr als 66.000 stammten aus Syrien, mehr als 38.000 aus dem Irak und rund 27.000 aus Afghanistan, geht aus den neuesten BA-Zahlen hervor.

Der Zuwachs geht der Statistik zufolge vor allem auf das Konto von Syrern. Binnen Jahresfrist stieg die Zahl der von den Jobcentern betreuten Syrer um knapp 36.600 oder 123 Prozent auf 66.200.

Auch in Deutschland lebende Eritreer, Afghanen und Somalier finden hier anscheinend nur schwer einen Job – und sind der Statistik zufolge öfters auf Sozialleistungen angewiesen.

Die Entwicklung kommt für die Bundesagentur angesichts des seit Monaten anhaltenden Flüchtlingsstroms nicht überraschend. Für 2016 stellt sich die Bundesagentur im Jahresschnitt auf rund 130.000 zusätzliche arbeitslose Flüchtlinge ein. (APA, dpa, 16.10.2015)