Im Angesicht der Ameise: In Saul Bass' "Phase IV" erheben sich die Insekten gegen die Menschen.

Foto: Filmmuseum

Wien – Das Tier begleitet die Geschichte des Kinos von Anfang an, eine seltsame Allianz, die unüberschaubar viele wunderschöne Blüten wie auch ausgesprochen bedrückende Bilder hervorgebracht hat. Wer sich an eine Semiotik des Leinwandtieres wagt, steht vor einem riesenhaften, genreübergreifenden Korpus. Die Viennale-Retrospektive "Animals", die gemeinsam mit dem Filmmuseum veranstaltet wird, setzt dementsprechend auf Masse – ein Programm aus 41 Langfilmen und vier Kurzfilmprogrammen, das erwartbare Klassiker wie King Kong, Hitchcocks The Birds oder, aktueller, Wes Andersons Fantastic Mr. Fox mit eher Peripherem zusammenbringt.

Zu den aufschlussreichsten Filmen zählen dabei jene, die von Grenzüberschreitungen erzählen. In David Cronenbergs The Fly vermischt sich etwa der Körper eines Wissenschafters mit dem einer Fliege: Zuerst wird der Prozess der Verwandlung als vitalisierend erlebt, der Sex wird besser, dem Konkurrenten kann man plötzlich ohne weiteres den Arm brechen. Dann aber beginnt sich der Körper zu verflüssigen, die Zähne fallen aus, und aus dem Mund rinnt unwillkürlich Schleim. Wenn der Mensch/Fliege-Hybride dazu übergeht, seine Nahrung extern vorzuverdauen, wird unübersehbar, dass die als Wunscherfüllung angelegte Fantasie von der Tierwerdung Angstbilder produziert.

Eine weniger buchstäbliche Verbindung zwischen Mensch und Tier findet zwischen Leinwand und Zuschauerraum statt. Man erkennt sich – vermittelt etwa über Empathie oder Mitleid mit der gequälten Kreatur – wieder.

Robert Bressons Au Hasard Balthazar erzählt den Leidensweg eines Esels als Parabel. Das Tier, nach einer glücklichen Kindheit von Besitzer zu Besitzer weitergereicht, leide, so Bresson, unter menschlicher Grausamkeit und an der Verdinglichung. Die affektive Durchschlagskraft aber stellt sich nicht darüber her, dass der Esel als Metapher dient: Die Verbindung ist eine unmittelbar affektive, sie stellt sich her in der mimetischen Einfühlung.

Rührung und Entsetzen

Diese Einfühlung fällt Kindern gemeinhin leichter als Erwachsenen, nicht umsonst sind ein guter Teil der Kinderfilmhelden Tiere. Im Programm bilden hier Walt Disneys Bambi und Babe: Pig in the City die filmhistorische Klammer. Da geht es dann allerdings eher um eine Vermenschlichung, die das Eigene nicht, wie bei Bresson, im Anderen erkennt, sondern das Andere gleichsam präventiv zum Eigenen modelliert. Disneys Animateure haben zur Vorbereitung die Bewegungen realer Tiere studiert, die Gesichter der Zeichentrickfiguren aber denen von Kindern nachgebildet.

Rührung ist einer der zentralen Affekte des Tierfilms, ob angesichts der imaginierten Unschuld oder des Leidens. Für Letzteres finden sich einige Bilder im Programm, die die Rührung zugunsten des Entsetzens vor der eigenen Gattung hinter sich lassen, wie etwa Georges Franjus Schlachthofdokumentation Le sang des bêtes. Der Dokumentarfilm The Animals Film wiederum zeigt in serieller Folge Tiere in Labors und in Schlachthäusern. Der Film ist, im Gegensatz zu Jean Eustaches nüchtern auf die Schlachtung und Verwertung eines Schweins blickendem Le Chochon, agitatorisch gestimmt.

Gleich, ob es um Rührung oder Entsetzen angesichts des Leidens geht: Immer erzählt der Tierfilm zuallererst vom Menschen. Schon die frühe Filmtheorie verstand das Tier auf der Leinwand als Zeichen des Authentischen. Béla Balázs behauptete 1924, dass Tiere auch auf dem Filmset einfach leben würden, was einen als Menschen, der immer auch von außen auf sich zu schauen hat, schon mal neidisch werden lassen kann.

Auch mittels Special Effects erschaffene Tiere müssen immer wieder als Signum für das wesenhaft Andere des Menschen herhalten. Skeptischer formuliert: Das Tier soll das Echte repräsentieren und ist doch nur eine Projektionsfläche, wie die weiße Haut des Wales, die Käpt'n Ahab in John Hustons Moby Dick mit seinen eigenen Wahnvorstellungen verbindet. In dieser Hinsicht spielt es keine Rolle, ob wir es mit einem "echten" oder einem animierten zu tun haben, das Tier wird dem Publikum vorgeführt, damit es unsere Wünsche nach Selbstidentität, Unverstelltheit und Einfachheit, aber auch die Angst vor dem Verlust des Menschlichen imaginär befeuern kann. (Benjamin Moldenhauer, 15.10.2015)