Neue Vorwürfe gegen den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) lassen den Ruf nach einer umfassenden Reform der Geheimdienstarbeit lauter werden. Der SPD-Geheimdienstexperte Christian Flisek bezeichnete es am Donnerstag in Berlin als "extrem besorgniserregend", dass der BND bis 2013 befreundete Staaten ausgespäht habe.

Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte "strengere Regeln" für die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes. BND-Präsident Gerhard Schindler und das Bundeskanzleramt hatten am Mittwochabend das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, dem die Aufsicht über die Geheimdienste obliegt, über problematische Spähaktivitäten in der Vergangenheit informiert. Dabei ging es um Lauschangriffe auf "Botschaften und Institutionen von EU-Staaten und anderen Partnern", die "mit dem Auftragsprofil des BND nur schwer in Einklang zu bringen" seien, wie Flisek berichtete.

Gezielt

Den Angaben zufolge dauerte diese Praxis bis November 2013 an, als BND-Chef Schindler die Anweisung zur Löschung einer vierstelligen Anzahl einschlägiger Selektoren gab. Bei Selektoren handelt es sich um Suchbegriffe, anhand derer der BND gezielt Fernmeldekommunikation – etwa im Internet – nach interessanten Informationen durchkämmt.

Justizminister Maas nahm die neuen Enthüllungen zum Anlass, für die Pläne der SPD zur Reform der Fernmeldeaufklärung durch die Geheimdienste zu werben. Es bedürfe hier strengerer Regeln, "und wir müssen sicherstellen, dass diese Regeln auch durchgesetzt werden", sagte er der "Rheinischen Post" (Freitagsausgabe). Das Parlament müsse mehr Befugnisse und "die ausreichenden Mittel" für die Kontrolle des BND erhalten. Im Juni hatte die SPD-Fraktion dazu Vorschläge vorgelegt, die vom Koalitionspartner Union aber skeptisch bewertet wurden.

Im Zuge der Affäre um die Lauschaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA, die sich offenbar auch gegen Deutschland und andere US-Partner richteten, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesagt, Ausspähen unter Freunden gehe gar nicht. Flisek kommentierte die neuen Enthüllungen über die Arbeit des BND nun mit den Worten: "Ausspähen von Freunden war beim BND offenbar doch lange akzeptabel."

"Nicht weniger als verfassungsfeindlich."

Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte dazu: "Wenn sich das bewahrheitet, wäre das gegen alle rechtsstaatlichen Grundsätze und damit nicht weniger als verfassungsfeindlich."

Diese Einschätzung wurde in den deutschen Sicherheitsbehörden nicht geteilt: Sicherheitskreise verwiesen darauf, dass die entsprechenden Suchbegriffe vom BND rechts- und verfassungskonform eingesetzt worden seien.

Das BND-Gesetz, das die Arbeit des Diensts regelt, verbietet Lauscheinsätze gegen Ziele etwa in anderen EU-Staaten oder in den USA nicht ausdrücklich. Außer Frage stehen dürfte aber, dass ein solches Vorgehen nach Merkels Einlassung zur Spionage unter Freunden vom Sommer 2013 politisch nicht mehr opportun war. Offen ist, ob das damalige Vorgehen des BND durch das Auftragsprofil gedeckt war, das die Bundesregierung dem Dienst vorgab.

Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger sagte dem RBB, nun müsse geklärt werden, ob die verwendeten Suchbegriffe dem Auftrag entsprochen hätten. Es seien eine Reihe von Fragen aufgetaucht, die Anlass zum Handeln gäben.

Nach Informationen von RBB-Inforadio zielte die fragliche BND-Spionage auf europäische und US-Einrichtungen ab, um Erkenntnisse über Krisenregionen wie Afghanistan zu sammeln. Afghanistan zählt zu den klassischen Einsatzzielen des BND, die USA und EU-Staaten nicht. (APA, 15.10. 2015)