Seestadt Aspern: U-Bahn vor der Tür, Schwimmbad auf dem Dach.

Robert Newald

Man möchte wahrlich nicht in der Haut eines SPÖ-Funktionärs in Wien-Donaustadt stecken. Schon gar nicht als im Wahlkampf Zuständiger für die Seestadt Aspern. Man würde die Welt nicht mehr verstehen.

Da baut die rot-grüne Stadtregierung nach jahrelanger, komplizierter Planung einen funkelnagelneuen Stadtteil hin. Man hat sich bemüht, auf alles zu achten: U-Bahn-Anbindung, Nahversorgungsinfrastrutur, genügend Grünraum, Wohnkomfort – vor allem das: helle, gut geplante Wohnungen in architektonisch ansprechenden Bauten, sogar mit Schwimmbad auf dem Dach – und das zu günstigen, auch für Jungfamilien erschwinglichen Mietpreisen. Kein Wunder, dass die Wohn- und Lebenszufriedenheit hier besonders groß ist, und dass die Seestadt, obwohl noch nicht zur Gänze fertiggebaut, bereits jetzt Pilgerstätte internationaler Stadtentwicklungs- und Architekturexperten ist.

Fassungslose SPÖ

Und jetzt das: Bei der Wien-Wahl am vergangenen Sonntag hat in ebendiesem Prestigeprojekt des roten Wien die FPÖ in zwei von drei Sprengeln gewonnen, und zwar deutlich vor der SPÖ. Ausgerechnet die FPÖ, die im Gemeinderat kaum eine Gelegenheit ausließ, kein gutes Haar am Aspern-Projekt zu lassen. In der SPÖ ist man nicht nur konsterniert, man ist fassungslos.

Bürgermeister Michael Häupl sagte am Tag nach der Wahl, er habe überhaupt keine Erklärung für diese roten Verluste, und hätte er das früher geahnt, "hätte ich das abgestellt". Die Frage ist, was genau Häupl da abgestellt hätte – und wie er das wohl gemacht hätte. Auch Tage später waren die Analysten in der roten Wahlkampfzentrale noch ratlos, was nun die genauen Gründe für diese Stimmenverluste sein könnten.

Die "Wiener Zeitung" versuchte eine Erklärung: Wer umziehe, nehme nun einmal sein Stimmverhalten mit – nur weil jemand in einer schöneren, helleren und günstigen Wohnung in einem anderen Teil der Stadt wohne, wechsle er an der Urne noch lange nicht die Parteifarbe. Und überhaupt sei dieses Wahlergebnis ja eigentlich eine gute Nachricht: Weil es beweise, dass die Wiener SPÖ ihr Versprechen, geförderte Wohnungen nicht nach Vitamin P und Parteibuch zu vergeben, tatsächlich umgesetzt habe.

Hand aufhalten und treten

So kann man das natürlich auch sehen. Man kann aber auch ins Grübeln kommen, warum Menschen die Segnungen einer wohlfahrtsstaatlich orientierten Stadtverwaltung in Anspruch nehmen, die Vorteile genießen – und dann hingehen und ihr Kreuzerl bei einer Partei machen, die – wenn die politische Großwetterlage gerade kein Ausländerthema herbeiweht – gerne auch einmal die Sozialschmarotzerdebatte bemüht, die "Subventionen" ganz allgemein gerne abschaffen würde.

Informieren sich die Leute nicht? Glauben sie, die ausgrenzende FPÖ-Politik könnte nicht eines Tages auch sie selbst treffen? Oder hat ihnen jemand eingeredet, dass sie demnächst dort wieder verdrängt würden, weil die rot-grüne Stadtregierung den guten neuen Stadtteil für – zum Beispiel – Flüchtlinge brauche?

Sollte Letzteres der Fall sein, hätte die FPÖ einmal mehr erfolgreich das Angstargument bedient. Wer Angst hat, verunsichert ist, kennt sich nicht aus. Verängstigte Menschen wissen nicht, sie glauben – und sie glauben zumeist das Schlechteste in Bezug auf die eigene Person. Sie können kaum genießen, dass es ihnen im Moment vielleicht gutgeht – sie müssen sich nahezu zwanghaft sorgen, dass es morgen oder übermorgen wieder schlechter werden könnte.

Suche nach dem Sündenbock

Oft ist das insofern berechtigt, als diffuse Angst mit der sehr konkreten Einschätzung einhergeht, dass die eigene Ausbildung möglicherweise auf einem komplizierten Arbeitsmarkt nicht das Gelbe vom Ei darstellt. Doch bevor man die Schuld bei sich findet, sucht man lieber anderswo einen Sündenbock. Und das sind a) die Flüchtlinge und b) die Roten (und die Grünen), die diese ja so viel besser behandeln als "unsere Leut'".

Die Bereitschaft, die Hand zu beißen, die einen gefüttert hat, ist nicht immer ein Zeichen für Emanzipation und Selbstbewusstsein – mitunter handelt es sich um das genaue Gegenteil davon. Wenn die SPÖ in die Tiefe der Wählerpsyche einzutauchen versucht, wird sie vielleicht feststellen, dass sie nicht auf dem Wohnungssektor Fehler gemacht hat, sondern im Schulbereich. Viele Menschen in Wien sind unter der SPÖ-Regentschaft nicht klüger geworden – nur ängstlicher. Das nützte zuletzt immer der FPÖ – vielleicht auch in Aspern. (Petra Stuiber, 15.10.2015)