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Laut russischem Verteidigungsministerium bombardierte die eigene Luftwaffe unter anderem ein Trainingscamp der IS-Terrormiliz in der syrischen Provinz Idlib. Dieses sei dabei zerstört worden (Video-Still).

Foto: EPA / Russian Defence Ministry Press

Damaskus/Wien – Laut Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau hat die russische Luftwaffe in den vergangenen Tagen die Frequenz ihrer Angriffe in Syrien hinaufgefahren, 250 Einsätze waren es vom 9. bis zum 12. Oktober. Die Bombardements konzentrierten sich auf den Nordwesten der Provinz Hama, wo die Russen aus der Luft eine Offensive der syrischen Armee unterstützen, und auf den Westen von Aleppo – in dessen Norden jedoch gleichzeitig der "Islamische Staat" (IS) weiter vorrückt. Die russische Luftwaffe greift weiter sowohl IS-Stellungen als auch die anderer Rebellen an, berichtet das Institute for the Study of War (siehe Grafik links).

Die libanesische Zeitung "Al-Akhbar" meldete, dass am Montag erste neue iranische Revolutionsgardisten in Syrien eintrafen, die sich bei Hama der Assad-Armee und der libanesischen Hisbollah anschließen sollen. Auch der Chef der Al-Quds-Brigaden, Qassem Suleimani, sei bereits vor Ort.

Unangenehm für die Türkei

Die Ziele der Offensive betreffend schreibt "Al-Akhbar" unter anderem, dass in einer späteren Phase die türkische Grenze erreicht werden soll – wo man zu YPG-Kräften aufschließen werde. Die YPG (Volksschutzeinheiten) sind die von der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) gegründete Miliz, die in Allianz mit einer assyrischen und mehreren arabischen Gruppen und mit US-Luftunterstützung einen IS-freien Streifen halten. Für die benachbarte Türkei ist das deshalb unangenehm, weil die PYD eine Schwesterpartei der türkisch-kurdischen PKK ist, mit der sich Ankara im Krieg befindet.

Umso schlimmer für die Türkei, dass die USA die Unterstützung für die syrischen Kurden und ihre Verbündeten angesichts der russischen Syrien-Intervention massiv verstärken – 50 Tonnen Waffen und Material sollen die USA bei Hassakeh abgesetzt haben. Ankara reagierte verärgert und berief den US-Botschafter ins Außenministerium, um zu protestieren: Die US-Waffen würden unweigerlich bei der PKK landen.

Buhlen um syrische Kurden

Aber auch der russische Botschafter wurde einbestellt: Denn auch die Russen buhlen um die PYD. Wie aus der Meldung der syrienfreundlichen "Al-Akhbar" hervorgeht, sieht die syrisch-russisch-iranische Allianz die PYD ebenfalls als möglichen Partner. Die PYD-Partnerschaft würde natürlich nicht gratis kommen, sondern im Tausch dafür, dass die Erweiterung und Konsolidierung der kurdischen Kontrolle der Gebiete vonseiten Damaskus' geduldet würde.

Die USA hingegen hatten in dieser Beziehung immer auch die türkischen Interessen zu berücksichtigen. Aber nun buttert Washington zumindest militärische Unterstützung in die YPG – wie es heißt, für eine bevorstehende Offensive gegen die syrische Hauptstadt des IS, Raqqa.

Zusammenrücken der Sunniten

Allerdings ist Ankara nominell ebenfalls Teil der US-geführten Militärallianz, die nun die "Syrische Demokratische Armee" – so nennen sich die YPG und ihre Verbündeten jetzt – bei der Befreiung Raqqas aus der Luft unterstützen soll.

Also einerseits Assad/Russland/Hisbollah/Iran und andererseits Kurden-plus-Verbündete/USA. Als Reaktion auf das Engagement Moskaus kurbeln jedoch auch Saudi-Arabien und andere Länder ihre eigene Waffenhilfe für die von ihnen unterstützten Gruppen an: Und der Antagonismus zu den Russen könnte schaffen, was bis jetzt nie gelang, nämlich ein Zusammenrücken der von rivalisierenden und von unterschiedlichen Ländern gesponserten sunnitischen Rebellengruppen (abseits der Nusra-Front, die zu Al-Kaida gehört, und des IS). Es ist auch ein neuer (oder wiederbelebter) Name für das Kollektiv im Umlauf: Jeish al-Sham, Armee von al-Sham (Großsyrien). Die stärkste Gruppe darin sind die türkisch-gestützten Ahrar al-Sham. Ihre Aufgabe bleibt der Kampf gegen Assad.

Aufrufe zum Jihad

Die russische Intervention ist ein gefundenes Fressen für Salafisten und Muslimbrüder: Von allen Seiten kommen Aufrufe zum Jihad, wozu meist die Erinnerung an den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan (1979–1989) beschworen wird. Wer von diesem neuen Kämpferpotenzial profitieren wird – womöglich auch der IS mit neuem Zulauf – wird man erst sehen. Im Moment deutet alles auf eine weitere Eskalation hin.

Allerdings gibt es auch vereinzelt die Meinung, dass die Konsolidierung dreier Großgruppen – Assad etc., Kurden etc., Sunniten – eventuell auch den Weg zu Verhandlungen erleichtern könnte. Dazu müssten jedoch alle Seiten die Idee eines vollständigen territorialen Siegs aufgeben. (Gudrun Harrer, 15.10.2015)