Hohe Standortkosten werden mit 4.0 nebensächlicher, erläutern Roland Sommer (links) und Kurt Hofstädter. Die "Industrie 4.0"-Plattform soll Entwicklungen und Anwendungen voranbringen.

Foto: Andi Urban

Wien – Die digitale Fabrik bietet für Österreich große Chancen, sagt Roland Sommer, der als Geschäftsführer die Plattform "Industrie 4.0 Österreich" vertreten wird. Sommer ist noch bis Jahreswechsel Director of Public-Private Affairs bei AVL List, einem Unternehmen, das wie alle Zulieferer des automotiven Sektors bereits eine hohe Verknüpfung mit Autobauern aufweist.

Auch Kurt Hofstädter bringt als Vorstandsvorsitzender der "Plattform für intelligente Produktion" Know-how aus seinem Konzern ein. Hofstädter ist Head of Digital Factory des Siemens-Konzerns. Siemens habe bereits einige Projekte vorzuweisen, wo die Idee der integrativen Produktion sehr weit gediehen sei, erläutert er.

Sperriges Thema

Gemeinsam wollen sie das sperrige Thema a) in der Öffentlichkeit und b) in der Wirtschaft tiefer verankern. Bei dem Verein mit dabei sind Verkehrsministerium (Bmvit), Industriellenvereinigung, Bundesarbeitskammer, die Produktionsgewerkschaft PRO-GE sowie die Fachverbände der Maschinen-, Metallwaren- und Gießerei-Industrie sowie der Elektro- und Elektronikbranche.

Diese breite Aufstellung spiegelt auch die Breite des Themas "Industrie 4.0" wider. Denn in der digitalen Fabrik ist der komplette Workflow digitalisiert – eine riesige Datenmenge. Am Ende des Umsetzungsprozesses ist es dann egal, ob von etwas ein Stück oder aber eine Million hergestellt wird. Die Produktion ist in einer solchen Tiefe digitalisiert und automatisiert, dass es bildlich nur eines Knopfdrucks bedarf, um Anzahl und Ausformung der Produkte festzulegen.

Individualisierter Schuh

Der Sportschuhhersteller Nike liefert dafür ein anschauliches Beispiel, erläutert Hofstädter. Der personalisierte Sportschuh, den sich jeder Nutzer im Internet selbst designen und dann bestellen kann, ist ein großer Erfolg. 200.000 unterschiedliche Schuhe wurden bisher geordert. Das ist auch eine große Herausforderung für die Zulieferanten, die bis zum Schnürsenkel die farblich gewünschten Teile liefern müssen.

Im Kern geht es bei der Fabrik 4.0 also um die Digitalisierung eines jeden einzelnen Produktionsschrittes und eines jeden einzelnen Werkteils – und sei dieser noch so klein.

Dies erlaubt eine neue Herangehensweise schon beim Design eines Produktes. Die Zeiten, wo von einem ersten Stück Modelle in verschiedenen Maßstäben gebaut mussten, sind vorbei. Das Werkstück wird digital dargestellt und kann am Bildschirm gedreht und gewendet werden.

Simulation ganzer Prozesse

"Model in the loop" wird dies genannt, erläutert Sommer. Also die Simulation eines Systems oder von Systemteilen, genannt "Hardware in the loop". Da man dabei eventuell noch ganz am Anfang einer Entwicklungsphase steht, kann man trotzdem simulieren, wie sich eine Designentscheidung auf das gesamte fertige Produkt auswirkt.

Beispiel: Beim Autobau kommen 600 bis 800 Roboter zum Einsatz, die die automatisierte Fertigung eines Wagens durchführen. Noch während der Projektierung kann berechnet werden, wo diese Roboter in der Werkshalle am sinnvollsten aufgestellt werden. Realitätsnahe Produktionsabläufe können vorab getestet werden.

Da wird verständlich, weshalb die Experten von 4.0 schwärmen. Bisher hohe Standortkosten werden zumindest nebensächlicher, erläutern Hofstädter und Sommer unisono. Im Zuge der Globalisierung verlorengegangene Industrieproduktion ließe sich wieder zurückholen. Durch das schnelle Reagieren auf Kundenwünsche, das so möglich werde, sei es nur logisch, dass die Fabrik wieder nahe beim Abnehmer stehe, sodass der Vorteil der schnellen Produktion nicht durch lange Anlieferzeiten konterkariert werde. Auch müsse, angesichts der hohen Komplexität, das Know-how an einem Platz gebündelt werden.

Schrittweise Umstellung

Das Siemens-Elektronikwerk Amberg in der Nähe von Nürnberg ist fast schon eine solche digitale Fabrik auf dem aktuellen Stand der Produktionsautomatisierung. Bei den Industriecomputern, die dort hergestellt werden, ist jeder Einzelteil elektronisch erfasst und ist bekannt, woher dieser kommt, wie er aussieht und von wem er geliefert wurde.

Kommt es zu einem Fehler, kann rückverfolgt werden, wer den kaputt gewordenen Teil eines Schlosses geliefert hat. Ein Auswechseln bzw. Erneuern ist relativ einfach.

Eine Umstellung einer Fabrik auf 4.0 geht natürlich nur schrittweise, erläutern die Experten. Meist beginnt man in der Fabrik, beim Entwicklungs- und Produktionsprozess, und erst dann folgen Teile, die mit der Außenwelt eines Werks zu tun haben: Warenwirtschaft und Ausschreibungen, Bestellwesen bei Lieferanten und Kunden. Die Reihenfolge der Digitalisierung wird sich am Geschäftsmodell orientieren. (Johanna Ruzicka, 16.10.2015)