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2014 erhielt Hilla Becher den Großen Rheinischen Kulturpreis. Als Paar nahmen die Bechers etwa den Goldenen Löwen in Venedig oder den Goslarer Kaiserring entgegen.

Foto: APA/dpa/Henning Kaiser

Düsseldorf – Was ist mehr wert, fotografiert zu werden: das prächtige Schloss Sanssouci in Potsdam oder irgendwelche namenlose Industrieanlagen? Die spontane Reaktion der meisten dürfte lauten: Natürlich das Weltkulturerbe! Das ist heute nicht anders als vor 60 Jahren, als Hilla Wobeser in Potsdam eine Ausbildung zur Fotografin machte. Sie assistierte ihrem Lehrmeister Walter Eichgrün bei Aufnahmen der Schlösser und Gärten und sah täglich die Touristen mit ihren kleinen Kameras. Das langweilte Hilla zutiefst, und sie fragte sich, warum alle das Besondere fotografieren, das auch noch in 200 Jahren dort stehen wird, während niemand das Alltägliche festhält, das permanent vom Verschwinden bedroht ist.

Bauten der Schwerindustrie

Als sie 1959 während ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf Bernd Becher kennenlernte, fand sie in ihm nicht nur ihren zukünftigen Mann, sondern auch einen Arbeitspartner, der sich die gleiche Frage stellte – und der verzweifelt versuchte, dagegen anzukämpfen. Sein Interesse galt den alten, vom Abriss bedrohten Nutz- und Zweckbauten der Schwerindustrie, die er in Radierungen und Lithografien festhielt. Doch zum einen dauerte das zu lange, und zum anderen ist Zeichnen immer auch eine Interpretation.

Noch während ihrer Studienzeit begann das Paar damit, im Ruhrgebiet und im Siegerland Fachwerkhäuser, Bergwerke und Hüttenanlagen zu fotografieren, später fuhren sie mit ihrem VW Bulli durch Europa und die USA.

Ihr Stil konnte dokumentarischer kaum sein: Das Motiv wurde mit der Großformatkamera mittig ins Bild gesetzt und entweder nur frontal oder von allen Seiten fotografiert. Immer in Schwarz-Weiß und immer an bewölkten Tagen, damit die Sonne keine harten Schatten verursacht. Fast immer menschenleer. Zusammengefasst in Typologien mit bis zu 24 Einzelmotiven bekamen ihre Bilder die Anmutung naturwissenschaftlicher Schautafeln.

Ästhetik der Ökonomie

Mit dieser absolut unspektakulären Art bewegten sich die Bechers im Bereich der Minimal und Concept-Art, gleichzeitig gingen sie damit auf Konfrontation zu Otto Steinert und dessen extrem subjektiver Perspektive auf die Welt. Das Paar erhob die Nutzbauten zu "anonymen Skulpturen", die von unbekannten Architekten und Ingenieuren nach rein funktionalen Gesichtspunkten errichteten wurden. Es war eine Ästhetik der Ökonomie.

1976 übernahm Bernd Becher eine Professur für Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf, doch de facto verstand sich das Paar als gemeinsam lehrend. Diese auch als "Becher-Schule" bezeichnete Klasse bildete die Keimzelle der wohl einflussreichsten Kunstrichtung aus Deutschland seit dem Bauhaus, und aus ihr sind zahlreiche Stars der heutigen Fotografieszene hervorgegangen: Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth und Candida Höfer bilden da nur die Spitze.

Seit Bernd Bechers Tod 2007 führte Hilla ihr gemeinsames Werk mit Hilfe ihres Assistenten fort, doch ein Ende der Arbeit war nicht in Sicht. "Aber es muss ja auch nicht fertig werden", sagte eine bereits im Rollstuhl sitzende Hilla Becher 2014. Am Samstag ist sie 81-jährig in ihrer Wahlheimat Düsseldorf gestorben. (Damian Zimmermann, 13.10.2015)