Schon die Kinder spielen im palästinensischen Flüchtlingslager lieber Märtyrer als den Soldaten.

Foto: Robert Polster / Volkstheater

Wien – Auf dem Boden ist eine Topografie aufgebaut (Paul Lerchbaumer): sandige Landschaft, Hügel, Bäume, Häuser und ein Grenzverlauf. Rot wie eine Spur aus Blut deutet dieser nicht zuletzt auf Unsicherheit, Beunruhigung, Skepsis und Obacht hin, die das Leben zu beiden Seiten täglich bestimmen. Denn wo es ein "wir" gibt, gibt es auch "die anderen". Und die sind im gegebenen Fall feindlich.

Hier – auf der einen Seite Israel, auf der anderen das Palästinensergebiet – nehmen sieben Studenten des Max-Reinhardt-Seminars, mit dem das Volkstheater in Zukunft öfter koproduzieren wird, Aufstellung. Unter ihnen die junge Soldatin Yael (Lena Kalisch) und die Krankenschwester Amal (Michaela Saba). Gleich wird sie Yaels Grenzposten passieren, in ein israelisches Restaurant fahren und sich dort in die Luft jagen.

Spurensuche

90 Minuten dauert Maya Arads God Waits at the Station, eine Spurensuche nach den Ursachen des Terroraktes. Dabei gibt sie allerlei Anhaltspunkte für die Gemengelage im Pulverfass Gazastreifen. Das Aufwachsen Amals im palästinensischen Flüchtlingslager etwa. Oder den Tod des kranken Vaters bloß wegen eines fehlenden Passierscheins. Und welchen Anteil an der Radikalisierung hat das Umfeld, das Amal – choreografiert von Daniela Mühlbauer – den Sprengstoffgürtel umschnallt?

Nicht leichter zu beantworten die auf der anderen Seite des Zauns gestellte Frage: "Wie sieht ein Sicherheitsrisiko aus?" Selbst wenn es in der allgemeinen Anspannung aus Erfahrung und Vorbehalten eine wahnwitzige Liste von Gefahrenhinweisen von trockenen Lippen bis hin zu weiter Kleidung gibt – wie soll man das entscheiden?

Angstklima

Es gibt nicht den einen Schuldigen, das Opfer und den Täter. Dass eindeutige Zuschreibungen unmöglich sind, liegt in Hannan Ishays Inszenierung auch daran, dass die Darsteller (Luka Vlatkovic, Markus Börger, Enrique Fiß, Winnie Bistram und Jeanne-Marie Bertram komplettieren das Ensemble) je mehrere Rollen übernehmen. Wer wir sind, wo wir geboren werden und wofür wir deshalb eintreten, möglicherweise kämpfen, ja sterben – das ist Zufall. Man kann versuchen, im Restaurant und im Bus immer am Rand, ganz vorne oder hinten zu sitzen. Denn die Bomben gehen meist in der Mitte hoch. Der Rest: Glückssache. Pech.

Zeitlos deshalb die moralischen und menschlichen Fragen, die in der psychologisch eindringlichen Aufführung verhandelt werden. Und ebenso ortlos. Ein gefährliches Klima aus Vorbehalten lässt sich nämlich in vielerlei Situationen wiederfinden. (Michael Wurmitzer, 11.10.2015)