Werner Faymann ist ein Politiker aus dem Wiener Rathaus. Seine Haupttätigkeit bestand jahrelang darin, ein knappes Gut, nämlich Sozialwohnungen, politisch zu verteilen.

Reinhold Mitterlehner ist ein Politiker aus der Wirtschaftskammer. Seine Haupttätigkeit bestand jahrelang darin, mit der Kammerbürokratie umzugehen und Interessenpolitik auszuhandeln.

Was man bei beiden vermisst: dass sie die Herausforderung unserer krisenhaften Zeit aktiv annehmen. Mitterlehner kritisiert zwar immer wieder verbal den Stillstand, aber es folgt nichts darauf. Faymann tut nichts, um Österreichs Wirtschaft von der "Kriechspur" (Wifo-Chef Aiginger) wegzubringen.

Angela Merkel hat die Flüchtlingsfrage als "historische Herausforderung" bezeichnet. An der Flüchtlingsfrage entscheidet sich, ob ein nationalistischer, rechtsstaatsfeindlicher und antihumanitärer Rechtspopulismus in Europa die Oberhand behält. Österreich könnte da, wie schon zweimal im vorigen Jahrhundert, eine "Versuchsstation für den Weltuntergang" (Karl Kraus) sein.

Was so irritiert und Zukunftsangst erzeugt, ist der Eindruck, dass die Regierenden den Ernst der Lage nicht begreifen – oder ihn begreifen und resignieren. Oder, noch schlimmer, sich in einer Art Übersprunghandlung in gegenseitigen taktischen Spielchen und Haxelstellerei üben. Das gilt für Kanzler und Vizekanzler ebenso wie für andere Regierungspolitiker. Innenministerin Mikl-Leitner begreift nicht, dass ihre panikartigen Äußerungen als komplettes Versagen interpretiert werden müssen. Zuerst redet sie missverständlich von "Gewaltanwendung" durch die Polizei, wenn die Flüchtlinge nicht zu stoppen sind; jetzt beschwört sie eine "humanitäre Katastrophe" herauf, wenn Bayern die Flüchtlinge nicht mehr annimmt. Und wenn wir 50.000 für eine Zeit im Lande haben, so ist das keine Katastrophe, sondern kann irgendwie bewältigt werden. Die Ministerin verströmt selbstdestruktiven Defätismus.

Auf der anderen Seite verströmt ein so erfahrener Politiker wie Sozialminister Hundstorfer eine inzwischen unerträgliche Lethargie. 30.000 Arbeitslose mehr? Na, es sind wenigstens nicht 35.000. Das ist Realitätsverweigerung.

Es ist immer ein wenig problematisch, wenn Journalisten Urteile über gestandene Politiker – oder auch Sozialpartner – fällen. Jahrzehntelange Erfahrung und das Erlebnis, wie andere kritische Situationen gemeistert wurden – Terroranschläge, EU-Beitritt, Beinahezusammenbruch der verstaatlichten Industrie, Wende in Osteuropa, Jugoslawienkrieg und seine Folgen -, mögen als Lizenz zur Kritik dienen.

Die derzeitige Staatsspitze, Spitzen der Sozialpartnerschaft inklusive, scheint ohne Rezept zu sein. Aber auch ohne Handlungswillen. Und ohne Zugang zu modernen Kommunikationsmethoden. Strache hat über die sozialen Medien eine perfekte Desinformationsmaschine aufgebaut, die Regierungsparteien sind da rettungslos altmodisch.

Ein großer Teil der Österreicher ist autoritär strukturiert und autoritätsgläubig. Aber gerade deswegen sind sie durch entschiedenes Auftreten und durch Handlungsstärke zu beeindrucken. Daran lässt es die derzeitige Führungselite des Landes fehlen. Populismus geht nur in der Opposition. In der Regierung lähmt es, wenn man niemand vergrämen will. Man kann in einer Krise über sich selbst hinauswachsen – oder man wird überrollt. (Hans Rauscher, 09.10.2015)