Sie schauen zu gut, zu gesund, zu wohlhabend aus. Sie haben Handys, sie haben ordentliche Kleidung an, sie haben Geld. Sie haben Wünsche, sie wissen, wohin sie wollen. Sie können gar nicht in Not sein.

Diese Sätze – in unzähligen, auch weniger freundlichen Variationen – waren in den vergangen Wochen in vielen Foren, Leserbriefen und Radio- und Fernsehbeiträgen zu lesen und zu hören. So weit, so erwartbar. Untersuchungen zeigen nämlich, dass Flüchtlingen deutlich weniger Empathie entgegengebracht wurde, wenn sie in der Berichterstattung als allzu aktiv und selbstbestimmt handelnd dargestellt wurden.

Selbstverschuldete Katastrophen

Und ob ein notleidender Mensch als hilfsbedürftig wahrgenommen wird, hängt im hohen Maße von der äußeren Erscheinung ab. Kinder, junge Frauen und alte Menschen erregen eher unser Mitleid als junge Männer. Opfer von Naturkatastrophen erregen wiederum mehr Mitleid und bekommen leichter Hilfe als Opfer von menschengemachten Katastrophen wie etwa Bürgerkriegen.

Soweit die Befunde aus der Medienpsychologie. Nun zur Realität auf unseren Straßen, auf Bahnhöfen und in unseren Medien.

Überleben und Leben

Menschen, die aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Krisenherden dieser Welt zu uns unterwegs oder hier bereits angekommen sind, fliehen vor mannigfaltigen Gefahren. Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, haben unterschiedliche ökonomische Hintergründe.

Einige sehen ihr nacktes Überleben bedroht, andere sehen keine menschenwürdige Zukunft für sich und ihre Kinder in jenen Ländern, in denen sie rein zufällig geboren wurden. Es fliehen jene, die sich die größten Chancen auf erfolgreiches Durchkommen ausrechnen und sie nehmen das mit, was sie tragen können, und das was ihnen für eine erfolgreiche Flucht und das Leben in der Fremde am nötigsten erscheint.

Ob diese Menschen bei uns bleiben werden, haben Asylgerichte zu entscheiden. Wie es ihnen bis dahin hier bei uns ergeht, hängt einerseits davon ab, wie gut unsere Hilfsorganisationen und Asylgerichtshöfe arbeiten. Vor allem – und das ist das Entscheidende für unsere Zukunft als Gesellschaft – hängt es von jedem Einzelnen ab und von seiner Bereitschaft Vorurteile, Berührungsängste und Abwehrreflexe zu überwinden.

Es kann nicht sein, dass nur den Zerlumpten, Abgemagerten und jeglicher menschlicher Würde Beraubten menschenwürdige Behandlung und Hilfe zustehen. Eine Begegnung auf Augenhöhe ist gefragt. (Olivera Stajić, 9.10.2015)