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Kendall Jenner liefen auf Instagram schon 38 Millionen Follower zu. Hier läuft das 19-jährige Model für Balmain im Enterprise-tauglichen Jumpsuit.

Foto: AP/Thibault Camus

Die Straßen um das Hotel Intercontinental in der Nähe der Pariser Oper mussten zeitweise von der Polizei gesperrt werden, so sehr drängelten die Fans vor dem Eingang, wo am Nachmittag des 1. Oktober die Show von Balmain stattfand. Es wurde gekreischt, geschubst und mit Smartphones gefuchtelt, als ob gleich ein Popstar vorfahren würde. Aber nicht doch! Die aufgeregte Horde Teenager wartete auf Helden ihresgleichen. Sie heißen Kendall Jenner und Gigi Hadid. Bitte, wer?

Wem die Namen nichts sagen, der ist vermutlich nicht auf Instagram. Denn neuerdings gehören zu einem erfolgreichen Topmodel nicht nur endlos lange Beine, sondern auch endlos viele Follower. Die 19-jährige Jenner, Halbschwester von Kim Kardashian, bringt es auf ganze 38 Millionen. Hadid, 20, immerhin auf 6,8 Millionen.

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Ein Selfie beim Match zwischen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille: Kendall Jenner und Gigi Hadid.
Foto: apa/epa/langsdon

Olivier Rousteing, Chefdesigner von Balmain, ist selbst ein Star auf Instagram und weiß die sozialen Medien – seine Balmain-Army, wie er sie nennt – für sich zu nutzen. In seinen Shownotizen für die Frühjahr-/Sommer-Kollektion 2016 schreibt er: "Balmains Erfolg in den sozialen Medien versorgt uns täglich mit Nachrichten der Begeisterung von denjenigen, die einen neuen Weg gefunden haben, die klassischen Türkontrollen zu umgehen."

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass die Modebranche am liebsten unter sich bleiben wollte. Blogger waren nicht willkommen und Fotos unerwünscht. Die Zeiten haben sich gehörig geändert. Heute wird geteilt, gepostet, gelikt. Modedesigner Alexander Wang beendet seine letzte Show für Balenciaga sogar mit einem Selfie, um diesen Moment exklusiv für sein Netzwerk festzuhalten. Das neue Wunderkind der Mode, der Vetements-Designer Demna Gvasalia, ist nun zu seinem Nachfolger ernannt worden.

Bikerjacken im Livestream

Die Mode öffnet sich, wird demokratischer. So gab es die Show von Louis Vuitton, wie viele andere, live im Streaming zu sehen: eine explosive Mischung aus rosa Bikerjacken, Netzhemden und barocken Rüschenblusen. Neben den Liveübertragungen sind Modeschauen auch über die sozialen Netzwerke zugänglich. Eine gute Entwicklung, möchte man meinen. Doch nicht alle sind davon begeistert. "Es ist schon ein Klischee, dass die Mode Instagram liebt und Instagram die Mode liebt", schreibt Modekritikerin Vanessa Friedman von der "New York Times". Aber für die Kleidung selbst sei das die schädlichste Entwicklung unserer Zeit, findet sie. Instagram, Youtube und andere Plattformen würden die Designer nötigen, sich nur noch durch Extreme hervorzuheben.

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Leder bei Louis Vuitton.
Foto: APA/EPA/Etienne Laurent, REUTERS, Benoit Tessier

Jumpsuits bei Balmain

Bei Balmain sah das so aus: goldfarbene, breitmaschige Netzröcke, besetzt mit dicken smaragdfarbenen Strasssteinen, bodenlange Flamencoröcke und hautenge Jumpsuits. Chefdesigner Rousteing hat in der Tat dick aufgetragen. Vielleicht hat ihn seine Zusammenarbeit mit H&M beflügelt, die nächsten Monat in den Geschäften hängen wird.

Die letzte Show von Alexander Wang für Balenciaga schrie ebenso nach Selbstdarstellung. Seinen Abschied nach nur drei Jahren inszenierte er theatralisch in einer Kirche und zeigte eine Kollektion ganz in Weiß. Mit den Wünschen der Kundinnen hat das eher wenig zu tun. Und mit den Sachen, die später in den Geschäften hängen, noch viel weniger. Verkauft werden nicht die Looks der Show, sondern die sogenannten Commercial Pieces und Stücke aus den Pre-Collections.

Aber Modeschauen sind eben da, um das Image der Marke zu stärken. Das zeigt auch eine Show wie die von Raf Simons für Dior, bei der Rihanna erst vor einem riesigen Berg aus Rittersporn posierte und danach mit ihrem lachsfarbenen Dior-Cape in der Front Row saß. Auch auf Instagram ist die Popdiva, die sich dort @badgalriri nennt, mit 27 Millionen Fans quasi in der ersten Reihe.

Die Kollektion von Simons war zart und verträumt. Kurze weiße Shorts und kleine Leibchen mit muschelförmig geschnittenem Saum, transparente Kleider und bauchfreie Tops, inspiriert von viktorianischer Unterwäsche. An den zierlichen Models sah das sehr hübsch aus, nur ist die Dior-Kundin eben in der Regel kein Teenager mehr. Bleibt also abzuwarten, was wir nächsten Sommer in den Dior-Boutiquen zu sehen bekommen.

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Strick und Transparenz bei Dior.
Foto: APA/EPA/Yoan Valat, Reuters/ Benoit Tessier

Der Meister der Inszenierung ist wie immer Karl Lagerfeld. Er hat schon Instagram-taugliche Shows geschmissen, als der Begriff "Social Media" noch gar nicht erfunden war. Jedenfalls dürfte der Hashtag #chanelairport bei Instagram ganz oben rangiert haben, als er am Dienstagmorgen das Grand Palais in die futuristische und fiktive Flughafenhalle "Paris-Cambon Airport" verwandelte.

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Check-in am Chanel Airport.
Foto: APA/EPA/Ian Langsdon, Reuters/Benoit Tessier

Zum Check-in schickte er seine Models mit Rollköfferchen und aufgemalten Schlafmasken, die Sohlen der Schuhe blinkten wie die Lichter auf der Landebahn, und die Seidenstoffe der Kleider waren mit Flughafenanzeigetafeln bedruckt. Auch sportliche Sweater waren dabei, bequeme Birkenstocksandalen, elegante Tweedkostüme und lässiger Denim. Die Mischung stimmte: Lagerfeld lieferte nicht nur eine gute Show, sondern erfreulicherweise auch eine ansprechende Kollektion.

CHANEL

Am Ende sind es aber vor allem die weniger fulminanten Shows, bei denen man Mode zu sehen bekommt, die auch dem normalen Alltag gewachsen ist. Zum Beispiel bei Isabel Marant. Als Frau, die für Frauen entwirft, weiß die Pariser Designerin, worauf es im wahren Leben modisch ankommt: Tragbarkeit. Auch wenn die Silhouetten keineswegs neu waren – ihre folkloristischen Kleider, flattrigen Blusen und plustrigen Hosen sehen angezogen gut aus und lassen sich bestens mit anderen Stücken kombinieren.

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Metallische Folklore bei Marant.
Foto: APA/EPA/Ian Langsdon

Van Notens Gespür für Farbe

Auch der Belgier Dries Van Noten weiß, was Frauen wollen. Seine langen Taftröcke mit Taschen an den Seiten, die weiten Marlene-Dietrich-Hosen und Oversizeschnitte sind bequem und elegant zugleich. Hinzu kommt sein unglaubliches Gespür für Farben und Muster. Die größten Gegensätze mixt Van Noten so meisterhaft zu einem Ganzen, dass man sich danach gar nicht mehr vorstellen kann, wie sie je nicht zusammengehören konnten: Plateauschuhe aus pinkem Satin, ein korallenfarbener Blazer, eine senfgelbe Hose mit großem Blumenmuster und ein petrolfarbenes Hemd. Man muss es gesehen haben, um es zu begreifen.

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Perfekte farbliche Harmonie bei Dries Van Noten.
Foto: Reuters/Benoit Tessier

Dries Van Noten überzeugt ohne große Show, ohne Instagram, ohne Stars und ohne Selfies. Und irgendwie hat er recht: Was nützen schon Millionen Follower, wenn sie ihr Geld am Ende doch bei Zara ausgeben? (Estelle Marandon, 8.10.2015)

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Paris, Teil 1: Kleider, die sich im Regen auflösen