In der Frage ob Doppelresidenzen für Kinder getrennt lebender Eltern per Gesetz erlaubt werden sollen, sind sich ÖVP und SPÖ nicht einig. Die Frauenministerin warnt vor Nachteilen für Frauen.

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Eine Woche lebt das Kind bei der Mutter, eine Woche beim Vater – dieses Modell kann in Österreich nicht hochoffiziell gelebt werden. Denn das Kind darf nur einen Hauptwohnsitz haben. Mit dem Wohnsitz verbunden sind wiederum Rechte und Pflichten.

So erhält jener Elternteil, bei dem das Kind seinen Hauptwohnsitz hat, Kinderbeihilfe sowie in der Regel auch Alimente. Derzeit beraten die Verfassungsrichter, ob das momentan gültige Gesetz verfassungskonform ist. Eine gegenteilige Entscheidung hätte vermutlich weitreichende Konsequenzen, auch in finanzieller Hinsicht. Politisch ist das Thema höchst umstritten.

SPÖ uneinig beim Thema

Für Doppelresidenzen für Kinder, deren Eltern beide das Sorgerecht haben, setzt sich der SPÖ-Bundesrat Stefan Schennach ein. Bei der parlamentarischen Versammlung des Europarates Anfang Oktober hat er einer entsprechenden Resolution zur Ratifizierung der Doppelresidenz als Standard in allen Mitgliedsstaaten zugestimmt. In der Erklärung heißt es, die Staaten seien aufgerufen, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit das Modell der Doppelresidenzen verstärkt genutzt werden kann.

Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Schennach: "Was als Projekt Liebe begonnen hat, kann enden, nicht jedoch die Elternschaft". Beim geteilten Sorgerecht sei die Erziehung des Kindes nicht nur Sache der Mutter, folglich müsste es auch vor dem Gesetzgeber offiziell die Möglichkeit geben, Doppelresidenzen zu führen. Mit der Zuerkennung von Doppelresidenzen würde auch die Aufteilung der Familienbeihilfe einhergehen, führt Schennach aus. Auch würde sich ein Reformbedarf beim Unterhaltsrecht ergeben.

Frauenministerium: Gemeinsame Obsorge auch ohne Doppelresidenz

Schennachs Parteikollegin und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hält auf Anfrage des STANDARD dagegen: "In Österreich haben wir bereits viele der Punkte verwirklicht, die in der Resolution angeführt werden." Bereits jetzt sei es möglich, ein ausgedehntes Kontaktrecht des Elternteils, bei dem das Kind nicht hauptsächlich lebt, sowie weitgehende Regelungen zur gemeinsamen Obsorge festzulegen.

Auch ohne Doppelresidenz können sich beide Eltern in die Kindererziehung einbringen. Eine exakte 50:50-Aufteilung des Kindsaufenthalts werde in der Resolution und im Bericht hingegen nicht verlangt. Haben die Eltern ein gütliches Verhältnis, können sie bereits jetzt eine passende Lösung finden: "Dafür ist keine weitere gesetzliche Regelung nötig."

Auch aus frauenpolitischer Sicht spreche einiges dagegen. Für die Schule, Ärzte, Jugendwohlfahrt und andere Behörden sei eine klare Ansprechstelle notwendig. Es würden sich mehrere Rechtsansprüche vom Hauptwohnsitz ableiten, etwa die Familienbeihilfe und das Wahlrecht. Die Doppelresidenz führe unter Umständen zu einer weiteren Reduktion des Geldunterhalts. Dadurch könnte das Armutsrisiko der betroffenen Kinder steigen, heißt es aus dem Büro des Frauenministeriums.

Grüne fordern Debatte

Judith Schwentner, Familiensprecherin der Grünen, lehnt das Modell der Doppelresidenzen nicht prinzipiell ab. Allerdings brauche es eine ausgiebige Diskussion darüber. Die automatische Teilung der Unterhaltszahlung sei "sehr heikel". So hätten Frauen oft geringere Einkommen, sie befänden sich bekanntlich aufgrund der Schieflage bei der Übernahme der Kinderbetreuung verstärkt in Teilzeitbeschäftigung.

Die FPÖ befürwortet das Modell der Doppelresidenz genauso wie die Neos. "Wir haben bereits im Vorjahr einen entsprechenden Antrag eingebracht, dass diese Möglichkeit auch gesetzlich verankert werde. Eltern sollen die Möglichkeit haben, das Kind jeweils zu Hause zu betreuen und entsprechend auch Ansprüche wie Pflegeurlaub nutzen zu können. Schließlich sind an den Aufenthaltsort des Kindes wichtige Rechte für die Eltern geknüpft", sagt die scheidende Neos-Familiensprecherin Beate Meinl-Reisinger.

Positive Signale vom Familienministerium

Vonseiten der Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) sind positive Signale betreffend Doppelresidenz zu vernehmen. Aus ihrem Büro heißt es auf Anfrage des STANDARD: "Aus Sicht des Familienministeriums sind wir der Meinung, dass die Doppelresidenz sicher in vielen Familienkonstellationen positiv sein könnte. Am Familienministerium würde die Doppelresidenz an sich jedenfalls nicht scheitern." Auch das Justizministerium zeigt sich auf Anfrage des STANDARD offen für Doppelresidenzen.

Verbot könnte noch heuer gekippt werden

Tatsächlich könnte das Verbot der Doppelresidenzen noch in diesem Jahr vom Verfassungsgerichtshof gekippt werden. Die Verfassungsrichter halten darüber derzeit Beratungen ab.

Anlass dafür ist ein Fall aus Wien: Ein Kind lebt seit Jahren abwechselnd bei Vater und Mutter. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat im vergangenen Jahr dazu befunden, das Verbot von Doppelresidenzen verstoße mehrfach gegen Verfassungsbestimmungen: gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Familienlebens, Diskriminierungsverbot), gegen das Gleichbehandlungsgebot und gegen die Kinderrechtskonvention.

Aus dem Familienministerium heißt es, man müsse das bald zu erwartende Erkenntnis des VfGH abwarten und dieses dann intensiv analysieren, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Insbesondere die Auswirkungen auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld müssten geprüft werden. Im oben angesprochenen Fall wird dem Vater jedenfalls seit August Familienbeihilfe ausbezahlt.

Sollte das Gesetz für verfassungswidrig erklärt werden, könnte der Verfassungsgerichtshof eine Reparaturfrist einräumen. Diese kann vom Verfassungsgerichtshof höchstens für 18 Monate gewährt werden. (Katrin Burgstaller, 9.10.2016)