Es ist ein Kreuz mit der Schweizer Identität: Der CEO von Bally ist Franzose, der Designer Argentinier, Eigentümerin der Marke ist eine deutsche Milliardärsfamilie. Das Archiv der Schuhmarke ist aber immerhin in der Schweiz verblieben.

Foto: Bally

Pablo Coppola wurde vor zwei Jahren zum Chefdesigner von Bally ernannt. Zuvor arbeitete er bei Tom Ford.

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Zu jedem Schuh das richtige Accessoire – und das richtige Kleidungsstück: Bei Bally setzt man darauf, zukünftig nicht nur als Anbieter von Lederwaren, sondern eines ganzen Lifestyles wahrgenommen zu werden.

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Es ist einer der eindrucksvollsten Palazzi von Mailand. Die Wände und Decken bedeckt mit Wandmalereien, der Innenhof von Statuen gesäumt, ist der Palazzo Durini bis heute Wohnsitz der Conti di Monza. An diesem Nachmittag während der Mailänder Modewoche hat sich allerdings jemand anderes in den mittelalterlichen Palast einquartiert, eine Marke, deren Wurzeln zwar nicht so weit zurückliegen wie jene der Hausherren, deren Alter aber durchaus Respekt einflößt.

"Bally ist um einige Jahre älter als Louis Vuitton", wird Pablo Coppola im Laufe des halbstündigen Gesprächs sagen. Ein Streichquartett spielt im Hintergrund, Gläser mit Champagner werden gereicht.

Es ist ein Satz, den Bally-Mitarbeiter oft fallenlassen. Er vermittelt Sicherheit und Beständigkeit, und das in einer Branche, die ihre Kraft aus ständigen Veränderungen schöpft. Beim Schweizer Schuhhersteller Bally waren Veränderungen in der Vergangenheit öfter Anlass zu Sorge als zu Jubel. Mehrere Besitzerwechsel haben der Marke zugesetzt, ein Designer nach dem anderen kam, sah und ward bald wieder verschwunden. Jetzt aber sitzt Pablo Coppola im breiten Ledersessel des Mailänder Palazzo und erklärt, warum diesmal alles anders sei. "Bally ist eine Marke, mit der man alles machen kann. Wenn wir wollen, stellen wir morgen ein Auto her."

The sky is the limit

Der Mann will hoch hinaus. Oder um es mit den Worten von Coppola zu sagen: "The sky is the limit." Auch dieser Satz fällt an diesem Nachmittag mehrmals, und er wird von Coppolas Chef, der zwei Räume weiter Journalisten und Einkäufern die neue Kollektion erklärt, mit Zahlen unterfüttert. Eine Milliarde Dollar, sagte er dem Branchenblatt "Womens Wear Daily", wolle man bis 2021 jährlich umsetzen und damit Bally zur "wichtigsten Luxusschuhmarke der Welt" machen. Momentan ist Frédéric de Narp von seinem selbstgesteckten Ziel aber noch ein gutes Stück entfernt.

Der 45-Jährige ist der dritte CEO in den vergangenen fünf Jahren, so wirklich funken wollten die Konzepte seiner Vorgänger nicht. Der ehemalige Präsident von Harry Winston und Cartier Nordamerika soll es beim 165 Jahre alten Unternehmen jetzt aber richten. Er selbst ist Franzose, Coppola stammt aus Argentinien, und die Marke gehört der deutschen Milliardärsfamilie Reimann, die Bally 2008 übernommen und in die Labelux-Gruppe integriert hat, zu der auch Marken wie der Lederjackenhersteller Belstaff, der Handtaschendesigner Zagliani oder die Schuhmarke Jimmy Choo gehören.

Marke der globalisierten Luxuswelt

Aus dem Schweizer Traditionsunternehmen, auf das die Eidgenossen ähnlich stolz waren wie auf ihre Uhrenhersteller, ist eine Marke der globalisierten Luxuswelt geworden. An die Vergangenheit erinnern höchstens das eine oder andere Paar Schuhe im Bergsteigerlook (die Schuhe, mit denen Sir Edmond Hillary den Everest bezwang, waren von Bally) oder die Gondeln, die Coppola auf seine Foulards druckt. "Das ist meine Weise, wie ich der Geschichte der Marke ironisch Reverenz erweise", sagt er und erzählt, dass er sich wie ein Tourist fühle, wenn er sich in der Schweiz aufhalte.

Wirklich oft ist er dort nicht zu Gast, hin und wieder stattet er dem mit 38.000 Modellen mehr als reichlich bestückten Schuharchiv in Schönenwerd einen Besuch ab und natürlich der letzten in der Schweiz verbliebenen Fertigungsstätte in Caslano im Tessin. In der Vergangenheit saß dort auch das Designteam, das 20-köpfige Kreativteam von Pablo Coppola werkt dagegen am neuen Hauptsitz in London. "Dort kriege ich alle Designer, die ich will, in der Schweiz wäre das schwierig", sagt er. In den vergangenen Jahren hat der Designer bei Dior und Tom Ford die Accessoirekollektionen verantwortet, die Ateliers des letzten Arbeitgebers waren im Nachbargebäude angesiedelt.

Ein Rucksack von Altlasten

Als er bei Bally vor zwei Jahren angefangen hatte, musste er nur die Straßenseite wechseln, ansonsten blieb vieles beim Alten. "Wir erfinden das Rad ja nicht neu, unser Ziel lautet, das Produkt besser zu machen." Das ist Herausforderung genug. Wie jede Marke mit langer, wechselvoller Geschichte schleppt auch Bally einen Rucksack mit Altlasten herum, die man nicht von einem auf den anderen Tag loswird: "Es gibt Produkte, die sich fantastisch verkaufen, die ich ästhetisch aber nicht schätze."

Da gäbe es zum Beispiel einen Damenschuh mit einem Vier-Zentimeter-Stöckel. Ein Bestseller, aber einer, den man in keine Auslage stellen möchte. "Es bleibt einem in so einem Fall nichts anderes übrig, als sich hinzusetzen und an den Details zu arbeiten. Den Farben, dem Material, den Nähten. Am Ende hat man zwar kein Lieblingsprodukt, aber eines, mit dem man leben kann." Ähnlich geht es Coppola seit seinem Amtsantritt mit vielen Produkten.

Chipperfield baut die Geschäfte

"Upgrading" nennt er den Prozess, der sowohl einzelne Produkte als auch die Produktpräsentation, die Kommunikation und natürlich die Verkaufsstellen betrifft. Der englische Stararchitekt David Chipperfield baute soeben einen ersten Concept-Store in South Coast Plaza in Kalifornien, jener am Rodeo Drive in Los Angeles folgt Ende des Jahres.

Damit knüpft man an eine über die Jahre verschüttgegangene Tradition an, nämlich die enge Zusammenarbeit von Bally mit Architekten und Designern. Kolo Moser baute 1919 das Bally-Kosthaus in Zürich, Marcel Breuer designte das Geschäft in Spiez, Robert Mallet-Stevens weitere vier Boutiquen. "Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überrascht einen Bally immer wieder. In den 70er- und 80er-Jahren muss man dagegen nach den Kirschen suchen." Das war auch jene Zeit, als Bally immer stärker als Männerschuhmarke wahrgenommen wurde.

Edle Einzelstücke

Das war nicht immer so, wie nicht zuletzt das Schuharchiv in Schönenwerd belegt. In den 1930er-Jahren punktete Bally mit aufwendig bestickten Stilettos und Flapperschuhen, statt klobigen Absätzen dominierten feminine Formen die Kollektionen. Daran wollen auch Coppola und de Narp anknüpfen. Beinahe 70 Prozent des Umsatzes entfallen heute auf Männerschuhe, in den kommenden Jahren soll sich das Verhältnis auf 50:50 einpendeln. Unterstützen will man diese Entwicklung durch die Ready-to-wear-Kollektion, mit der sich Coppola auch als Designer auf neues Gebiet vorwagt. Noch nie war er für eine Modekollektion zuständig.

"Bei meiner ersten Kollektion bin ich auf Nummer sicher gegangen. Habe Tabula rasa gemacht." Anders als bei Schuhen, wo die Bally-Sohle oder der Bally-Stöckel zu Fachbegriffen geworden sind, fehlt der Marke eine eigene Modeidentität. Coppola begann deshalb mit schlichten, aber äußerst edlen Einzelstücken. Jetzt, vier Saisonen später, ist man einige Schritte weiter. Nicht mehr in jedem Kleidungsstück wird Leder verwendet, noch immer muten viele Teile klassisch an, punkten aber mit ausgeklügelten Details. In den Palazzo Durini fügt sich die Kollektion sehr harmonisch ein. Das ist schon einmal ein guter Beginn. (Stephan Hilpold, RONDO, 14.10.2015)