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ORF-TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher.

Foto: APA / Hochmuth

Wien – Steigenden Zuspruch meldet der ORF wegen der aktuellen politischen Lage in der Fernsehinformation: Marktanteile und Reichweiten der "Zeit im Bild"-Sendungen sind 2015 durchwegs gestiegen. "Obwohl es viel öffentlich geäußerte Unzufriedenheit mit den sogenannten Mainstreammedien gibt, gibt es auch viel Informationsbedarf", sagte ORF-TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher im APA-Interview.

Das Klima in den sozialen Medien fördere diese Entwicklung. "Es ist zwar für manchen gesellschaftstauglich geworden, sich via Social Media auszukotzen, ich glaube aber auch, dass genau diese Emotionalisierung im Netz dazu beiträgt, dass es Bedarf an glaubwürdiger und objektiver Information gibt", so Dittlbacher. Die Kritik, dass Medien zu viele 'bad news' bringen, kann der ORF-Chefredakteur nachvollziehen. "Das verstehe ich, und eine Aneinanderreihung von Perlenketten von Katastrophen und schlimmen Meldungen können wir heute auch nicht mehr anbieten. Wenn man sich die 'Zeit im Bild 1' heute anschaut und mit der von vor 15 Jahren vergleicht, haben wir uns bereits stark verändert. Und wir versuchen natürlich auch zu zeigen, dass die Welt nicht nur schlecht ist."

Das Verhältnis zur Politik sieht Dittlbacher, dessen Vertrag als Chefredakteur bis Ende 2016 befristet ist, entspannt: "Die Vorstellung darüber, wie sehr interveniert wird, ist deutlich größer, als es tatsächlich der Fall ist. Es gibt natürlich immer wieder einmal Auseinandersetzungen mit Politik oder Wirtschaft, weil diese sich falsch oder ungerecht behandelt fühlen. Aber es ist auch nicht so, dass ich jeden Tag mit Schwert und Lanze ins Feld ziehen muss."

APA: Die Medien werden von vielen Bürgern zunehmend infrage gestellt, und Journalisten rangieren beim Vertrauen mit Politikern auf den hinteren Plätzen. Zugleich hat der jüngste APA/OGM-Vertrauensindex gezeigt, dass das Fernsehen in Sachen Glaubwürdigkeit der politischen Berichterstattung zulegen konnte und Höchstwerte erreicht ...

Dittlbacher: Ich glaube, dass unsere Zuseher mittlerweile gelernt haben, zwischen Medien, denen sie vertrauen, und Medien, denen sie skeptisch gegenüberstehen, zu unterscheiden. Wenn es darum geht, verlässliche Infos zu bekommen, wenden sich die Menschen in unsicheren Zeiten der Wirtschaftskrise und Flüchtlingsströme an Medien, die sie kennen, denen sie vertrauen und die sie nicht angeschwindelt haben. Und obwohl es viel öffentlich geäußerte Unzufriedenheit mit den sogenannten Mainstreammedien gibt, gibt es auch viel Informationsbedarf. Wir merken im ORF, dass der Zuspruch steigt.

APA: Bei den Privatsendern gab es zuletzt gute und steigende Quoten für Informationsformate. Wie läuft es im ORF?

Dittlbacher: Die "Zeit im Bild"-Sendungen liegen sehr gut. Wir hatten von Jänner bis September durchwegs Marktanteilssteigerungen. Bei der "Zeit im Bild" um 19.30 Uhr liegen wir derzeit einen knappen Prozentpunkt über den Vorjahreswerten. Die deutsche "Tagesschau" sehen rund fünf Millionen, und die "Zeit im Bild" sieht in Österreich eine Million. Das ist gemessen an der Bevölkerung gut doppelt so viel und unterstreicht die wichtige Rolle der "ZiB 1". Bei der "ZiB 2" haben wir heuer um 32.000 Zuseher mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Und zu Mittag haben wir mit durch "ZiB" und "heute mittag" einen neuen Einschaltimpuls. Wir haben heuer in beiden Sendungen eine Marktanteilssteigerung von vier Prozentpunkten. Das heißt, wir haben da eine Mittags-Infostrecke aufgebaut, die sehr gut angenommen wird. Die Menschen haben derzeit ein hohes Interesse an Politik und am Zeitgeschehen. Wir werden dabei als zentraler Anlaufpunkt für glaubwürdige Information wahrgenommen. Das macht sich bezahlt.

APA: Auf Twitter und Facebook gibt es im Gegenzug Häme und Hass?

Dittlbacher: Ich stelle schon fest, dass bei manchen im Social-Media-Bereich alle Grenzen fallen. Auf unserer "ZiB"-Facebook-Seite haben wir das im Griff. Die wird moderiert, und wir haben kaum mit Hasspostings zu tun. Es ist zwar für manchen gesellschaftstauglich geworden, sich via Social Media auszukotzen, ich glaube aber auch, dass genau diese Emotionalisierung im Netz dazu beiträgt, dass es Bedarf an glaubwürdiger und objektiver Information gibt. Wir legen auf unserer Facebook-Seite derzeit im Schnitt pro Woche um fünf Prozent bei den Likes zu und sind mittlerweile etwa vor "Krone" oder "Österreich". Wir erreichen hier sehr viele Menschen: Im Schnitt des vergangenen Monats waren es mehr als eine Million täglich. Und wir erreichen auf diesem Kanal viele junge Leute. Im Schnitt ist unser Publikum dort 30 Jahre alt.

APA: Welche Schwerpunkte erwarten uns in der ORF-Information in den kommenden Monaten?

Dittlbacher: Wir wollen den erfolgreichen Weg mit den "Zeit im Bild"-Sendungen fortsetzen. Das ganz große Projekt, an dem derzeit gezimmert wird, ist die neue Frühsendung, die mit Nachrichten zur vollen und halben Stunde auch uns betrifft. Das startet im Frühjahr, und da gibt es von der Technik bis zum Personal einiges zu planen. Und spannend wird im Frühjahr auch die Bundespräsidentenwahl mit voraussichtlich zwei Wahlgängen. Für ORF eins versuchen wir auch einige neue Sendungen aufzustellen. Und mit "meins" planen wir für die junge ORF-1-Zielgruppe so etwas wie eine Internetplattform zur Vertiefung der Information, die bei uns im Fernsehen stattfindet.

APA: Wenn man heute Zeitungen aufschlägt oder den Fernseher aufdreht, hat man das Gefühl, die Welt war noch nie so schlecht und in so katastrophalem Zustand wie heute. Viele verzichten deshalb lieber auf Medien ...

Dittlbacher: Das verstehe ich, und eine Aneinanderreihung von Perlenketten von Katastrophen und schlimmen Meldungen können wir heute auch nicht mehr anbieten. Wenn man sich die "Zeit im Bild 1" heute anschaut und mit der von vor 15 Jahren vergleicht, haben wir uns bereits stark verändert. Damals wurden 15 bis 17 Beiträge abgespult, mittlerweile konzentrieren wir uns auf fünf bis sieben Themen pro Sendung. Und wir bringen nicht mehr bloß Pressekonferenzen und Agenturbilder, sondern Reportagen, um einer Geschichte auch ein Gesicht zu geben. Wenn es um Arbeitslosigkeit geht, treten Arbeitslose auf und nicht Funktionäre. Wir zeigen auch positive Beispiele, und wir bringen mehr Analyse, Liveschaltungen und Erklärungen mittels Grafik im Studio. Wir versuchen, den Leuten die Welt besser zu erklären. Und wir versuchen natürlich auch zu zeigen, dass die Welt nicht nur schlecht ist.

APA: 2010 hatte die SPÖ Ihre Bestellung zum Chefredakteur forciert und ließ dafür sogar Informationsdirektor Elmar Oberhauser abwählen. Bei den Personalspekulationen um die ORF-Wahl 2016 fällt der Name Dittlbacher nicht mehr so oft. Offenbar haben Sie nicht gehalten, was sich die Politik von Ihnen erwartet hat ...

Dittlbacher: Schon 2010 ist meine Bestellung von meinem damaligen Chefredakteur Karl Amon betrieben worden, und im Übrigen auch von der "ZiB"-Redaktion in einer Abstimmung mit großer Mehrheit bestätigt worden. Ich bin damals als Journalist Chefredakteur geworden und habe seither versucht, guten, ordentlichen und glaubwürdigen Journalismus auf Sendung zu bringen. Ziel des Journalismus kann es nicht sein, geliebt zu werden, Ziel muss es sein, dass dich die Leute respektieren. Unser Team wird respektiert, und damit bin ich sehr zu frieden.

APA: Also keine Ambitionen auf mehr?

Dittlbacher: Es geht für mich nicht darum, wie ich mehr werden kann, sondern darum, den Job, auf den ich berufen wurde, ordentlich zu machen. Es gibt eben eine große Trennlinie in der medialen Kommunikation: Das Interesse der Politik heißt Öffentlichkeitsarbeit. Das Interesse von Journalisten sollte Aufklärung sein. Und das muss notwendigerweise auseinanderklaffen. Aufgabe eines Redakteurs muss es sein, auf der Seite der Aufklärung und nicht der Öffentlichkeitsarbeit zu stehen.

APA: Beim 40. Geburtstag der "ZiB 2" haben Sie gemeint, diese Sendung kann ziemlich gefährlich werden. Etwa denen, die sich dort wie Frank Stronach entzaubern, oder denen, die wie Werner Faymann nicht auftreten wollen. Hat sich das Verhältnis zum Kanzler entspannt?

Dittlbacher: Wir haben mittlerweile einige Studiogespräche mit dem Bundeskanzler gehabt. In der Politik hat sich doch das Wissen durchgesetzt, dass die "ZiB 2" kommunikationstechnisch eine derart wichtige politische Bühne ist, dass man diese besser nutzt, als dass man sie nicht nutzt. Die "ZiB 2" liefert sehr ordentlichen Journalismus, und was hier auf Sendung geht, ist glaubwürdig. Die Seher haben bei uns eben nicht im Hinterkopf, ob Inserate eine Rolle spielen, ob bestimmte Fragen gestellt oder nicht gestellt werden.

APA: Zugleich haben Sie gemeint, die "ZiB 2" könne auch Chefredakteuren und Geschäftsführung gefährlich werden, weil sie sich nur "kritischem Journalismus verpflichtet" fühlt. Sind Sie in Gefahr?

Dittlbacher: Nein, ich sehe mich grundsätzlich nicht in Gefahr, auch nicht durch die "ZiB 2". Das liegt aber auch dran, dass ich mich eben als Journalist und Teil eines journalistischen Teams sehe und meinen persönlichen Erfolg daran messe, ob bei uns ordentlicher und mutiger Journalismus stattfinden kann.

APA: Wie sieht es mit politischen Interventionen: Auf welcher "Defcon-Stufe" befindet sich der ORF gerade?

Dittlbacher: Die Vorstellung darüber, wie sehr interveniert wird, ist deutlich größer, als es tatsächlich der Fall ist. Es gibt natürlich immer wieder mal Auseinandersetzungen mit Politik oder Wirtschaft, weil diese sich falsch oder ungerecht behandelt fühlen. Aber es ist auch nicht so, dass ich jeden Tag mit Schwert und Lanze ins Feld ziehen muss.

APA: Was werden Sie ab 2017 machen. Ihr derzeitiger Job als TV-Chefredakteur ist ja bis Ende 2016 befristet und in der von ORF-Chef Wrabetz geplanten neuen Struktur auch nicht mehr vorgesehen?

Dittlbacher: Ich habe nicht den Eindruck, dass mein Job oder der des Radio-Chefredakteurs überflüssig ist oder derzeit mit zu wenig Aufgaben oder Notwendigkeit versehen ist. Und solange nicht alle in einem gemeinsamen Gebäude und Newsroom sitzen, wird es diese Notwendigkeit wohl weiterhin geben – und in den einzelnen Medien wohl auch Ansprechpartner und Koordinatoren. Was 2017 ist, hängt von der neuen Geschäftsführung ab. Ich mache mir aber keine Sorgen. Ich hab genug zu tun, und ich kann meinen Job auch ausreichend gut. (APA, Johannes Bruckenberger, 6.10.2015)