Vor gut einer Woche kürte sie der Londoner Telegraph zum "coolest British Model on the block". Ruth Bell heißt sie, ist gerade einmal 19 und war mal eben beim Friseur. Seither trägt sie statt langer blonder Mähne kurze Haarstoppel. Eine solche Entscheidung, gar nicht so ohne: ein Haarschnitt kann im Modelbusiness den Beginn einer Blitzkarriere oder deren jähes Ende bedeuten. Bei Ruth Bell aber funktioniert der Kahlschlag gerade als edgy Karriere-Katalysator, denn das Verschwimmen der Geschlechtergrenzen, tja, das ist zumindest auf den Laufstegen sogar schon in Italien angelangt.

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Ruth Bell, laut Londoner Telegraph, "coolest British Model on the block", hier auf dem Laufsteg für Kenzo.
Foto: apa/epa/langsdon

In Mailand eröffnete Ruth Bell also die Show von Max Mara, lief für Gucci, Versace, Etro, Pucci. Der Dauerlauf ging während der Pariser Schauen weiter. Eigentlich aber hat Ruth Bell ihre Haare für eine Kampagne von Alexander McQueen abrasiert. Und das gefiel wiederum Hedi Slimane so gut, dass er Bell als Gesicht für Saint Laurent buchte. Die Britin hat mit ihrem "alles einmal ab und das nicht zu knapp" also vieles richtig gemacht. Und nutzt seither die Gunst der Stunde. Sie bessert den Erfolgsschnitt mit Papas Haarschneidegerät alle zwei bis drei Wochen nach.

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Ruth Bell auf dem Laufsteg für Saint Laurent, Pucci und Versus Versace. (v.l.)
Foto: reuters/apa/epa/ap

Kahlgeschoren unter Rapunzeln

Recht hat sie. Auf den Laufstegen gehört es gerade zum guten Ton, Models mit abgeschorenen Haaren unter all die langhaarigen Rapunzel zu mischen. Wäre ja sonst auch mehr als fad. Louis Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière bevorzugt gerade Tamy Glauser, die Deutsche Kris Gottschalk wurde für die Show von Riccardo Tisci in New York extra blondiert, für Tods liefen die Zwillinge Camilla und Giulia Venturini. Und nein, das sind noch lange nicht alle. Alek Wek und Ajak Deng sind schon lange mit drin im Club der Kurzrasierten, jetzt aber gibt’s außerdem, Achtung, Namen merken: Eva Collé, Soeki Gravenhorst, Mae Telkamp. Sie alle mischen die Laufstege mit ihren Stoppeln auf.

Tamy Glauser mit Designer Nicolas Ghesquière.
Kris Gottschalk.

Ein wenig erinnern sie an Sinéad O'Connor, die sich 1987 die Haare abrasierte, bevor sie einige Jahre später mit ihrem Prince-Cover dem Mainstream ein Begriff wurde. "Nothing compares 2 U", das galt damals wohl auch für ihren polarisierenden Look. Die Männer, bekannte die Irin in einem Interview, die stuften sie damals als Lesbe oder Skinhead ein, "die halten mich für scheißaggressiv."

Auch heute provoziert die weibliche Kurzhaar-Rasur Aufmerksamkeit. Deshalb wird ihr auch so gerne eine Botschaft angehängt. Vivienne Westwood will mit ihren kurzen weißen Haaren wie mit allem, was sie anpackt, auf den Klimawandel aufmerksam machen, Britney Spears spontaner Kahlschlag anno 2007 darf im Nachhinein wohl als Hilferuf zu lesen sein und Tallulah Willis, Tochter von Demi Morre, die sich einst für eine Filmrolle rasierte, befreite sich nach ihrem Drogenenzug vor einem Jahr von ihren Haarsträhnen. Wer jetzt also den Kahlschlag wagt, sollte sich vorher schon mal eine irre Geschichte dazu ausdenken. (Anne Feldkamp, 7.10.2015)