Rund 15 Jahre nach der Bildung von Schwarz-Blau sind Wien und Österreich wieder zurück in den Schlagzeilen der amerikanischen Medien. Bestes Beispiel: ein Aufmacher dieser Tage in der International New York Times mit dem Titel "Refugee crisis buoys Austria's far right" ("Flüchtlingskrise verleiht Österreichs extremer Rechten Auftrieb") und ein auf die dritte Seite überlappender langer Text mit einem Foto, das die Wiener City-Vorsteherin Ursula Stenzel (früher ÖVP) bei der Wahlwerbung für die FPÖ zeigt – ohne sie im Bildtext zu nennen.

Alison Smale, Korrespondentin in Berlin, hat einen durchaus differenzierten Bericht über die Flüchtlingslage, die Unterstützung der FPÖ für Viktor Orbáns rechte Politik und mögliche Ursachen der oberösterreichischen Wahlergebnisse geschrieben.

One sweet, one sinister

Der Aufmachertext auf der ersten Seite aber, ebenfalls von Smale, wiederholt alle Klischees, die über Österreich seit Jahrzehnten verbreitet werden. Beginnend mit dem alten Hut, dass die "Stadt Sigmund Freuds" zwei Gesichter habe: ein süßes und ein finsteres ("one sweet, one sinister").

Dann aber langt sie zu: "Hinter dem Schnitzel und dem Strudel, hinter Mozart und der Oper lauert das Erbe der Nazis, die Juden zwangen, die Gehsteige mit Zahnbürsten zu reinigen." Sie erwähnt das Hrdlicka-Denkmal, aber das "andere Österreich" kommt bei ihr nicht vor – die kulturpolitisch mutigen Programme der Wiener Festwochen, die derzeit laufenden Veranstaltungen anlässlich des Jubiläums der Wiener Universität (u. a. über Feminismus und Widerstand), die freie Theater- und Tanzszene, der Life Ball, all das erwähnt Smale mit keinem Wort.

Es wäre von einer US-Journalistin zu viel verlangt, außer Straches Wahlpakaten und Slogans auch den laxen Umgang der Spitzenpolitik mit prinzipiellen Fragen zu schildern – dass Michael Häupl bei der Inseratenvergabe nur Leserzahlen berücksichtigt, die teils völlig verdorbene Schreibweise von Teilen des Boulevards aber nicht: eine Form der kalkulierten Toleranz, die sich auf das Wahlverhalten in Wien und anderswo überträgt.

Kirche, Macht und Gratisblätter

Sie kann nicht miterleben, wenn Regierungsmitglieder dem Gratisblatt-Verleger Wolfgang Fellner ehrfurchtsvoll begegnen. Oder hat nicht bemerkt, dass der Wiener Kardinal Christoph Schönborn im Gratisblatt von Eva Dichand kolumniert und anlässlich des Todes von Hans Dichand ein Pontifikalamt im Stephansdom gehalten hat. Erinnerungen an die alten Verbindungen zwischen Kirche und Macht dämmern herauf.

Der Rückgriff auf ein mittlerweile unsäglich antiquiertes Todesritual unter Männern beherrscht Wien indessen ebenfalls ohne US-Schlagzeilen: Das Umfrage-Duell zwischen Häupl und Strache erfreut sich einer Popularität, die der Verfilzung zwischen Politik, Medien und deren Leserschaft entspricht.

Wer diese hochgepushte Wahl am 11. Oktober verliert, ist politisch tot. Häupl, weil er dann das Rathaus vergessen, Strache, weil er sich seinen Anspruch auf den Ballhausplatz in die rechte Hosentasche schieben kann. (Gerfried Sperl, 4.10.2015)