Christoph Leitl und Reinhold Mitterlehner spüren den Zorn der heimischen Unternehmer.

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Die sechste Urlaubswoche, die Arbeitnehmern nach 25 Jahren Beschäftigung in einem Betrieb zusteht, aber durch einen einzigen Arbeitgeberwechsel in dieser Zeit verloren geht, ist eine mobilitätshemmende Anomalie unseres Sozialstaates, die korrigiert gehört.

Wenn etwas mehr Urlaub für etwas ältere Arbeitnehmer dazu führt, dass die Krankenstände sinken, dann ist die Belastung für die meisten Unternehmen verkraftbar.

Gleichzeitig aber kann man die Wirtschaftskammer unter Christoph Leitl verstehen, wenn sie angesichts überschießender Lohnnebenkosten vor dieser Forderung der Gewerkschaften zurückschreckt.

Im Gegenzug Erleichterungen für Arbeitgeber

Eine kluge ÖVP hätte sich die Ausweitung der sechsten Urlaubswoche teuer abkaufen lassen, durch Erleichterungen für Arbeitgeber und Flexibilisierungen im Arbeitsmarkt. Fast wäre dies im Rahmen des beinahe fertig ausgehandelten Arbeitsmarktpakets gelungen.

Und als die Metallergewerkschaft ungeschickterweise die sechste Urlaubswoche in ihr Forderungspaket für die Kollektivvertragsverhandlungen aufnahm, bestand erst recht die Chance, die sechste Urlaubswoche als versteckte Lohnerhöhung zu definieren und zu verhindern, dass sie zusätzlich zu einer KV-Erhöhung die Arbeitskosten in die Höhe treibt.

Tabus und heilige Kühe

Doch ÖVP, Wirtschaftskammer und Metallindustrie haben diese Chance vergeben. Sie haben die sechste Urlaubswoche zu einem Tabu gemacht, über das man nicht einmal mehr reden darf. Und sie haben sich damit dafür gesorgt, dass auch die Gewerkschaften ihre heiligen Kühe bis zum Letzten verteidigen. Fortschritt in der Arbeitsmarktpolitik wird es in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr geben.

Warum die ÖVP-Führung so gehandelt hat, lässt sich wohl nur mit dem Zorn der Wirtschaftstreibenden erklären, die ihr entgegenschlägt. So seltsam es klingt: Der lebenslange Wirtschaftsvertreter Reinhold Mitterlehner hat ein echtes Unternehmerproblem. Selbständige und Manager trauen ihm nicht.

Schuld daran ist das Ergebnis der Steuerreform, in der die ÖVP für die Verhinderung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer einen hohen Preis zahlen musste: Registrierkassenpflicht, höhere Mehrwertsteuer und andere Belastungen für einzelne Branchen.

Fluch der bösen Tat

Politisch wäre die Wiedereinführung einer moderaten Erbschaftssteuer leichter verdaulich gewesen als die Vielzahl der neuen Belastungen; und am besten wäre die ÖVP heute dran, wenn die Partei unter Wilhelm Molterer diese Abgaben 2008 nicht auf so zynische Weise hätten auslaufen lassen. Denn dies hat den Ruf nach Vermögenssteuern in der SPÖ befeuert; und ihre Verhinderung wird der Partei von den betroffenen Mittelständern nur wenig bedankt. Mitterlehners heutige Sorgen sind der Fluch einer bösen Tat.

Dieses Misstrauen gegenüber dem ÖVP-Obmann stärkt einerseits die FPÖ, die in Wien auch von vielen Geschäftsleuten gewählt werden wird, obwohl ihr Aufstieg der Wirtschaft nur schaden kann. Und es verhindert eine konstruktive Standortpolitik in der Koalition und der Sozialpartnerschaft.

Neuwahldrohungen nützen nichts

Wie Mitterlehner aus dieser Sackgasse wieder herausfinden kann, ist unklar. Neuwahldrohungen nützen nichts, und ohne Zugeständnisse der Wirtschaft werden weder SPÖ noch Gewerkschaften noch so sinnvolle Reformen wie etwa eine Lockerung des Zehnstundentages akzeptieren.

An ehesten würde eine Verbesserung der Konjunktur helfen, die Stimmung unter Unternehmern aufzuhellen und sie wieder etwas rationaler denken lassen. Aber das hängt zumeist von internationalen Faktoren ab, die sich in Österreich kaum beeinflussen lassen. (Eric Frey, 3.10.2015)