Kabul – Vier Tage nach der Einnahme von Kunduz durch die Taliban haben die afghanischen Truppen die nördliche Provinzhauptstadt nach eigenen Angaben vollständig zurückerobert. "Unsere Sicherheitskräfte sind in ganz Kunduz aufgestellt", sagte Polizeisprecher Sajed Sarwar Hassaini am Freitag.

Im Osten des Landes stürzte eine US-Militärmaschine ab, sechs US-Soldaten und fünf Zivilisten kamen ums Leben. Das Flugzeug sei höchstwahrscheinlich nicht abgeschossen worden, sagte ein US-Militärsprecher.

Offensive

Die radikalislamischen Taliban hatten Kunduz, wo die Bundeswehr jahrelang stationiert war, am Montag in einer Blitzoffensive erobert und nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen die Bevölkerung terrorisiert. Erstmals seit ihrer Entmachtung 2001 hatten die Extremisten wieder die Kontrolle über eine große afghanische Stadt übernommen.

Am Dienstag startete die afghanische Armee mit Unterstützung des US-Militärs eine Gegenoffensive. Tagelang wurde erbittert gekämpft, am Donnerstag waren Sondereinheiten wieder bis ins Zentrum vorgestoßen. Am Freitagmorgen meldeten Anrainer, der Gefechtslärm sei abgeebbt, in den Straßen lägen die Leichen von Taliban. Allerdings trauten sich viele Menschen aus Sorge vor Heckenschützen nicht auf die Straßen oder ins Krankenhaus.

"Wir suchen in den Gassen der Stadt und in Wohnhäusern nach Taliban", sagte Provinzpolizeisprecher Hassaini. "Wir werden sie finden und töten." Die Sicherheitskräfte seien in allen Vierteln der Stadt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte allerdings, in den Krankenhäusern sei die Belegschaft wegen der Kämpfe noch nicht zurückgekehrt, es herrsche ein akuter Mangel an Personal und medizinischen Gütern.

Amnesty International warf den Taliban vor, mit Morden an Zivilisten, Gruppenvergewaltigungen, Entführungen und dem Einsatz von Todesschwadronen in kürzester Zeit eine "Schreckensherrschaft" in der Stadt errichtet zu haben. Unter Berufung auf Augenzeugen und Bürgerrechtler erklärte die Menschenrechtsorganisation, die Islamisten hätten kleine Buben auf Erkundungstouren durch die Häuser geschickt, um ihre Opfer, vor allem Frauen, ausfindig zu machen. Familienangehörige von afghanischen Polizisten und Soldaten, darunter auch Kinder, seien gezielt ermordet, weibliche Verwandte vergewaltigt worden. Der afghanische Amnesty-Vertreter Horia Mosadik forderte die afghanischen Sicherheitsbehörden auf, die Bevölkerung viel besser zu schützen.

Die US-Militärmaschine vom Typ C-130 war in der Nacht zum Freitag nahe Jalalabad abgestürzt. Bei den zivilen Opfern handle es sich um Mitarbeiter der NATO-Ausbildungsmission "Resolute Support", erklärte US-Militärsprecher Brian Tribus. Taliban-Sprecher Sabihullah Mudjahid erklärte im Kurznachrichtendienst Twitter, die Taliban hätten die Maschine abgeschossen. US-Hauptmann Tony Wickman sagte indes: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit gab es keinen feindlichen Angriff. Es wird ermittelt."

Am Flughafen von Jalalabad, das an einer wichtigen Straße zwischen der Hauptstadt Kabul und der Grenzregion zu Pakistan liegt, befindet sich ein Luftwaffenstützpunkt. Ende 2012 hatten mehrere Selbstmordattentäter den Flughafen angegriffen und fünf Menschen getötet. (APA, 2.10.2015)