Die geheimnisvolle Dynastie der Nestervals – versammelt auf einem Foto. Wer nach Vordernberg kommt, kann vielleicht mehr über diese Familie erfahren. Und über die Rückkehr einer Frau namens Eleonore, die für Aufregung in Vordernberg sorgt.

Foto: Nesterval

Auch das Theater im Bahnhof präsentiert eine Arbeit in Vordernberg. Hier geht es nicht um Rückkehr, sondern um Neubeginne.

Foto: Benno Hiti

Vordernberg – Was nicht abgestochen werden kann, ist die sogenannte Ofensau. Wie eine solche aussieht, kann man in Vordernbergs liebevoll restauriertem gemauertem Hochofen gut sehen. Die Ofen- oder Eisensau ist ein Schmelzrest unterhalb der Abstichöffnung in einem Hochofen. Wer sich diesen Rest bei einem Abstecher in die obersteirische Marktgemeinde Vordernberg geben will – jetzt wäre die Gelegenheit doppelt günstig. Denn der Steirische Herbst realisiert in dem einst zu den bedeutendsten Industrieorten Mitteleuropas gehörendem Städtchen einen Teil seines künstlerischen Programms.

Zu Gast in den Barbarasälen

Daher trägt ein alter Ofen, Baujahr 1846, jetzt ein Schriftband der Australierin Mikala Dwyer. Ins Raithaus, einen Vorläufer der Leobener Montan-Universität, baut Anna Peschke ein "Ophiopogon" ein. Das Kollektiv Fourdummies wird unter dem Titel Flash Forward ein temporäres "Fotolabor für Zukünftiges" betreiben. Und das Theater im Bahnhof (TiB) aus Graz nistet sich in den Barbarasälen ein. Von dort aus nimmt die Gruppe ein ganz neues Gebäude ins Visier. Einen Bau, dem die lokale Bevölkerung heute teilweise mit Skepsis begegnet, weil er der ohnehin schon von Abwanderung geplagten Gemeinde seit seiner Eröffnung Anfang 2014 keine gute Publicity eingebracht hat.

Offiziell heißt dieses Haus Anhaltezentrum, im gemeinen Sprachgebrauch Schubhaftzentrum. Black Moonshine. Die Essenz der Freiheit titelt die dazu passende Arbeit des TiB. Darin wird die durchaus ambivalente Geschichte einer Gemeinde erzählt, die zwei Besonderheiten hat: ein Schubhaftzentrum und eine Schnapsküche. Die Anstalt ist etwas Gutes, weil sie eine schöne Architektur hat und Positives verspricht: Geld. Ein Bau als Schwellenbereich für Menschen, die ein neues Leben vor sich haben: zwischen Aufstieg und Abschiebung. Dann der Schnaps: eine Brennerei, ein edles Destillat, ein wirtschaftlicher Erfolg.

"Nach und nach entstehen Liebe und Bewunderung für den Ort und die persönlichen Geschichten seiner Bewohnerinnen und Bewohner", schreibt das TiB in seiner Ankündigung. Dieser Truppe ist die Ironie nicht fremd. Schon aus Tradition. Zur Erinnerung: Gegründet wurde das TiB 1989. Damals spielte man im ehemaligen Jugendwarteraum des Grazer Hauptbahnhofs, ab Mitte der Neunziger im eigenen Theater, einer ehemaligen Werkstatt am Lendplatz. In den Nullern zog das TiB in die Elisabethinergasse. Das "größte professionelle freie Theaterensemble Österreichs" kann überall – und will nicht nur in Theatern – auftreten.

Sein Glaubensbekenntnis: "Das TiB sieht seine Arbeit in der Fortsetzung und Weiterentwicklung des Volkstheaters. Es untersucht Archetypen, Spezialitäten und Abnormitäten des Österreichischen, um eine eigenwillige Auseinandersetzung mit österreichischer Identität und Gegenwart zu demonstrieren" – mit einem Theater "zwischen Tradition und Pop". So soll es jetzt auch in Vordernberg sein, wenn dort in der Schwärze eines Mondscheins um das Wesentliche der Freiheit geschnapst wird.

Eine Frau kehrt zurück

Mindestens ebenso ominös wie diese Erzählung ist jene von der Heimkehr der Eleonore Nesterval der Wiener Formation Nesterval. Alles beginnt auf dem Vordernberger Hauptplatz: Ein Gerücht wird wahr. Die Frau Nesterval soll wieder zurückkommen. Damit drohen auch dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit gelüftet zu werden. Und es gibt noch eine alte Rechnung, die beglichen sein will.

Nesterval ist keine Theatergruppe im klassischen Sinn, sondern ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, die Erzählungen rund um die erfundene Dynastie Nesterval (in die auch Zarah Leander verstrickt ist) als Schnitzeljagden und abenteuerliche Stationenperformances entwickeln. Das Publikum befindet sich hautnah an einem Geschehen, in dem Fiktion und Wirklichkeit ineinander verfließen. Für Einheimische und Gäste erschließen sich die Orte, an die sie geführt werden, neu.

Was bisher von dieser Uraufführung bekannt ist, erinnert deutlich an ein Thema, das Friedrich Dürrenmatt 1956 in seinem Stück Der Besuch der alten Dame weltbekannt machte. Eine Rückkehrerin nimmt Rache an ihren Peinigern von einst. Nur: Die Heimkehr der Eleonore Nesterval ist eben kein Bühnenstück. Da bleibt man nicht nur Zuschauerin oder Besucher, sondern wird in eine Mischung aus Theater und Interaktion hineingezogen. Gegebenenfalls ist es ratsam, sich dafür warm anzuziehen. (Helmut Ploebst, Spezial, 2.10.2015)