"Ich möchte den Beweis antreten, dass unsere Alpenrepublik über den Tellerrand schauen kann". Auch Christian Konrad legt das Zentrum für Politische Schönheit Worte in den Mund.

Political Beauty

Neuestes Projekt der Künstlergruppe ist eine Verbindung von Tunesien nach Italien – die Jean-Monnet-Brücke.

Foto: politicalbeauty.de/alexanderlehmann.net

Bis dahin soll es Rettungsplattformen im Mittelmeer geben. Das Zentrum betreibt damit eine Art politischer Inception.

Foto: politicalbeauty.de/alexanderlehmann.net

Sie haben es wieder getan. Ein perfekt produziertes Video, stimmig bis ins letzte Detail: Eine vierspurige Autobahnbrücke mitten im Meer kommt ins Bild. Mit einer fliegenden Kamera, die das zweifellos prestigeträchtige Objekt aus allen möglichen Winkeln visualisiert. Ein Gefühl der Freiheit kommt auf, als der Kameravogel in Richtung eines Autos wandert, im glänzenden Licht der mediterranen Sonne sehen wir ein Schild mit der Aufschrift "Italia", umgeben von den Sternen der EU. Beruhigende Musik – Urlaubsgefühle? Nein. Investorenvideo? Vielleicht, in der rechten unteren Ecke findet sich ein Strabag-Schriftzug. Aber nein. Eine sachliche Stimme informiert, dass "die Brücke" ein Projekt der österreichischen Bundesregierung ist. Sie soll ab 2030 Afrika und Europa miteinander verbinden.

Der Bau wird als vorausschauende politische Lösung inszeniert. Flüchtlingskoordinator Christan Konrad erklärt, er wolle sich in "den Dienst einer großen Idee stellen". Die Brücke wird im Begleittext zum Video als "ein modernes Märchen" bezeichnet. Der zweite Teil des Videos erinnert uns ausgehend von dieser strahlenden Werbevideozukunft an unsere triste Gegenwart: 36.000 Menschen ertrinken jährlich im Mittelmeer. Also sollen bis zum Baubeginn der Brücke Notfallstationen im Mittelmeer verankert werden, um gekenterten Flüchtlingen das Überleben zu sichern.

Fake und Realität

Das Werbevideo wurde am Montag von der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS) zweifach lanciert. Einerseits im Rahmen einer offiziellen Pressemitteilung, andererseits als Werbevideo einer Crowdfunding-Kampagne, in der für die erste Rettungsplattform, die am Donnerstag zu Wasser gelassen werden soll, gespendet werden kann.

Die Machart der ZPS-Kampagnen ist inzwischen bekannt. Medial wird ein Sachverhalt konstruiert, der eine Lösung humanitärer Probleme unter falscher Flagge in Aussicht stellt. Freilich, das Werbevideo ist nicht "echt" – ist irgendein Werbevideo echt? –, Faymann und Konrad haben nichts mit der Idee zu tun. Und doch, so viel lässt sich aus dem bisherigen Vorgehen der Gruppe prognostizieren, wird die Rettungsplattform am Donnerstag installiert werden. Die Unterscheidung zwischen Fake und Realität wird hier müßig, da lediglich die Urheberschaft und das Ausmaß der Maßnahmen fraglich bleiben.

"Schlüsselfertiges" Konzept

Die aktuelle Aktion der bekennenden aggressiven Humanisten ähnelt dem Projekt Kindertransporthilfe des Bundes aus dem vergangenen Jahr. Hier täuschten die Künstleraktivisten eine Aktion der deutschen Bundesregierung zur Rettung von 55.000 Kindern aus den syrischen Kriegsgebieten vor. Auch in diesem Fall ging die Rede vom Fake in die Leere: Innerhalb einer Woche meldeten sich 800 Familien bei der eigens eingerichteten Hotline, die sich – samt aller notwendigen Formulare und Nachweise – dazu bereiterklärten, syrische Kinder aufzunehmen. Das ZPS wollte das Konzept "schlüsselfertig" an die Bundesregierung übergeben – und hätte im Fall der Übernahme seine Urheberschaft nicht publik gemacht.

Bei der Aktion zur 230 Kilometer langen "Jean-Monnet-Brücke" wird freilich mit offeneren Karten gespielt, die letzten Aktionen zum europäischen Mauerfall und kürzlich "Die Toten kommen" haben dem ZPS nachhaltige Aufmerksamkeit beschert. Wie immer liegt die Pointe im gut ausgearbeiteten Detail. Auf ihrer Homepage verlinkt "die Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit" (Eigenbeschreibung) einen auf den ersten Blick wasserdichten Bauantrag zur Brücke, die den Namen eines der intellektuellen Wegbereiter der EG tragen soll. Allerdings ist der Antrag gegen Ende mit dem handschriftlichen Vermerk "Abgelehnt – Ausführung zu teuer" versehen. Das "moderne Märchen" der österreichischen Republik findet, aus Kostengründen, nicht statt. Diskussionen über die Kosten eines solchen Projekts, umgerechnet in Hypo-Debakel, sind seitens des ZPS sicherlich intendiert – und flankieren dessen Strategie.

Experimenteller Gestalter

Wir können fast nicht umhin, die Fiktion anzunehmen und uns zu fragen, warum denn eigentlich nicht? Das ZPS nimmt eine Erkenntnis bitter ernst: Was einmal in die mediale Wirklichkeit gesetzt ist, verschwindet nicht mehr so schnell aus ihr. Spätestens seit der Kindertransporthilfe des Bundes und den Flüchtlingsbewegungen des vergangenen Jahres ist eines deutlich geworden: Die Künstler sind in ihrem Spezialgebiet vorausschauender als die Regierungen, sonst sähen sich diese nicht in der Erklärungsnot, wenn sie mit dem "Fake" konfrontiert werden.

Durch die glückliche Verbindung von Agitationstechniken, Medienkompetenz und Idealismus und die generalstabsmäßige Planung wird das ZPS immer mehr zum experimentellen Gestalter möglicher – wünschenswerter – politischer Zukünfte. Damit betreibt das Zentrum eine Art politischer Inception und veranschaulicht gleichzeitig, was (politische) Kunst im besten Fall leisten kann: einen Möglichkeitsraum eröffnen, der uns im trüben (politischen) Alltag als ideeller Fluchtpunkt dienen kann. (Florian Baranyi, 30.9.2015)