Wer sich die teuren Accessoires von Louis Vuitton nicht leisten kann, für den gibt es in der Londoner Ausstellung eine Wand mit Aufklebern zum Mitnehmen.

Foto: Louis Vuitton

London Fashion Week, 180 Strand, gleich neben dem Somerset House nahe der Themse. Roter Teppich, Limousinen, Blitzlichtgewitter. Cara Delevingne, Michelle Williams, Catherine Deneuve, sie alle sind der Einladung von Louis Vuitton gefolgt. Was wie eine Pariser Modeshow mit glamourösem, hochhackigem Promi-Auflauf aussieht, ist gar keine. In dem mehrstöckigen, mit Louis-Vuitton-Flagge ummantelten Gebäude steht die Eröffnung einer Ausstellung an.

"LV Series 3" kreist um die Herbst-Winter-2015/16-Kollektion von Louis Vuitton, also jene Mode, die gleichzeitig in den Boutiquen zu kaufen ist. Hier in der Ausstellung allerdings sind Kleider, Köfferchen, Schuhe von Louis Vuitton nicht gegen Bares zu haben, sondern aus nächster Nähe zu bewundern. Einen Monat lang will die Ausstellung auch jene Öffentlichkeit erreichen, die sonst keinen Fuß über die Schwelle einer exklusiven Louis-Vuitton-Boutique setzt. Mit der dritten Ausgabe seiner "LV Series" öffnet sich damit der französische Luxuswarenhersteller, der vor rund einem Jahr in Paris ein eigenes Museum, die "Glaswolke" von Frank Gehry, die futuristische Fondation Louis Vuitton, errichtete, einer breiteren, einer jungen Zielgruppe.

Klotzen statt kleckern

Das ist eine Strategie, die gerade Schule macht. Internationale Luxusunternehmen kleckern nicht, sie klotzen, wenn es darum geht, den Endverbrauchern ihre Welt, ihre DNA als Erlebnis zu vermitteln. Die Konsumenten sollen Markenwelten fühlen, sehen, inhalieren. Und so kommt es, dass man der Mode jetzt auch an Orten begegnet, an denen man sie gar nicht erwartet. Das Treiben im Modehaus Dior? Kennt man aus dem Kino. Mit Frédéric Tchengs Dokumentation "Dior and I" war das Publikum hautnah dran an den alltäglichen Dramen der Couture-Ateliers und dem weinenden Designer Raf Simons. Laufstegveranstaltungen für Insider? New York, London, Mailand, Paris reichen Konzernen wie LVMH als Bühne nicht mehr aus. Das Motto der vielen Seitenevents: groß, größer, ran an die Masse.

Besonders beliebt: breitenwirksame Flirts mit Kunst und Kultur. Die funktionieren in der Mode als anspruchsvolle Extra-Image-Politur. Und die Mode wiederum, die hat sich in Museen und Ausstellungshäusern in den letzten Jahren meist als Besuchermagnet entpuppt. Wie sehr diese Verpartnerung einer Win-win-Situation gleichkommt, hat die im August zu Ende gegangene Ausstellung "Savage Beauty" über Alexander McQeen vorgeführt. Sie hat innerhalb von viereinhalb Monaten rund eine halbe Million Besucher ins Victoria and Albert Museum in London gelockt. Und soll in der Geschichte des Museums sogar alle Besucherrekorde gebrochen haben.

Blockbuster wanted

Was das für die Marke bedeuten kann? Eine Ausstellung hinterlässt im Besucher einen tieferen Eindruck als eine Werbestrecke, die in der "Vogue" mal eben achtlos überblättert wird. Und sie spricht Menschen an, die eine Modezeitschrift erst gar nicht in die Hand nehmen. Blockbuster-Events, die sich des Kunstvokabulars bedienen und gleichzeitig die breite Masse anfixen, sind das Gebot der Stunde. Givenchy ließ seine erste Modenschau in New York gerade von Marina Abramovic gestalten. Die einst für ihre Radikalität gerühmte Performance-Pionierin wird im Kunstkontext für solche Kooperationen mittlerweile belächelt. Von der Modewelt aber wird sie umklammert, denn das Bedürfnis der Marken nach Relevanz und Emotion ist enorm. Außerdem bemerkenswert: Givenchy lud zu seiner Show erstmals auch Endverbraucher ein. 820 Tickets sollen übers Internet verkauft worden sein.

Und Louis Vuitton? Öffnet zwar nicht die Tore zur Show, dafür setzt das französische Unternehmen Mode und Marke in einem temporären Ausstellungsszenario in London in Szene. Bei freiem Eintritt, denn auch "LV Series 3" ist für die Öffentlichkeit gemacht. Was den Besuchern geboten wird? Ein verspiegelter Parcours, der die Marke Louis Vuitton als zukunftsorientiertes, dem Handwerk verpflichtetes Unternehmen erlebbar machen will. Und den Besucher in vielen Räumen zum Smartphone greifen lässt: Ich und Louis Vuitton, da kommt zusammen, was zusammengehört!

Multimediale Inszenierungen

Nicolas Ghesquières selbst, seit zwei Jahren Designer der Damenkollektionen, bleibt für den Laien weitgehend unsichtbar. Dabei verantwortet er zusammen mit der Set-Designerin Es Devlin, die schon den Seventies-Futurismus der Show in Paris und Opern- oder Popstar-Sets von U2 oder Lady Gaga erdacht hat, die Konzeption der Ausstellung. Die hebt mittels multimedialer Inszenierungen das Handwerk aufs Podest. Auf beleuchteten Bildschirmen wippen den Besuchern an Models wie Freja Beha Erichsen die lebensgroßen Runway-Looks entgegen, an zwei Stationen werden Handtaschen zusammengeklopft, in einem anderen Raum hängen Teile der aktuellen Herbst-Kollektion wie kostbare, zu schützende Artefakte in transparenten Glasvitrinen, vereinzelte Stücke können angefasst werden. Und dann sind da natürlich jede Menge Taschen. Die sind nicht nur die lederne DNA, sondern eben auch Umsatzmacher des Brands.

Das ist auch am Eröffnungsabend zu erahnen. Das Gros der weiblichen Gäste dekoriert schöne Beine in knappen Kleidchen mit der köfferchengleichen "Petite Malle" über der Schulter. Und für alle, die noch keine "Dora" haben, gibt's eine Wand mit Aufklebern zum Mitnehmen. Die Motive: jede Menge Handtaschen und Schuhe. Bei Louis Vuitton, scheint's, hat man Sinn für Humor. (Anne Feldkamp, RONDO, 2.10.2015)