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Artur Mas in der Nacht nach der siegreichen Wahl: "Wir haben gegen alle Widerstände gewonnen. Und das gibt uns eine enorme Kraft."

Foto: APA / EPA / Alberto Estevez

"Wir haben gewonnen", feierte Artur Mas am Sonntag das Ergebnis der Wahl zum katalanischen Autonomieparlament. "Wir": Das ist "Gemeinsam für das Ja" (JxS), eine offene Liste, auf der neben den regierenden konservativen Nationalisten von Mas' CDC Politiker der separatistischen ERC sowie Persönlichkeiten aus Zivilgesellschaft, Kultur und Sport – unter ihnen Bayern-Trainer Pep Guardiola – angetreten waren. Das Sammelsurium wollte nur eines: die Unabhängigkeit Kataloniens.

JxS erreichte 62 der 135 Abgeordneten im Parlament in Barcelona. Zusammen mit den zehn Abgeordneten der linksseparatistischen CUP haben diejenigen, die für die Loslösung von Spanien eintreten, künftig die Mehrheit im Autonomieparlament. Sie wollen bis 2017 eine unabhängige "Republik Katalonien" errichten. "Wir haben gegen alle Widerstände gewonnen. Und das gibt uns eine enorme Kraft und eine starke Legitimität, um das Projekt voranzutreiben", so Mas.

Grenzenlose Freiheitsliebe

Der Schauplatz für die Wahlparty war mit Bedacht gewählt: JxS feierte am Markt El Born im Herzen Barcelonas. Hier befindet sich eine Gedenkstätte für das, was die Katalanen als Beginn ihrer Unterdrückung durch Spanien vor 300 Jahren sehen; hier sind Ruinen aus der Zeit der Belagerung Barcelonas 1714. Sie sind das Denkmal für den Kampf um Identität und Sprache.

"Katalonien hat die Freiheit über alles geliebt", heißt es in einem Brief "An die Spanier", den namhafte Politiker, Künstler und Intellektuelle von JxS kürzlich in der Tageszeitung El País veröffentlichten, unter ihnen auch Mas. "Katalonien hat beharrlich Widerstand gegen Diktaturen aller Art geleistet", erinnert der Text etwa auch an die Zeiten der Franco-Diktatur.

"Wenn wir weiterhin Katalanen bleiben wollen, haben wir nur eine Lösung: einen eigenen Staat, der uns verteidigt", erklärt auch Carme Forcadell, Gründerin und bis Mai Vorsitzende der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) – jener Bürgerbewegung, die am katalanischen Nationalfeiertag oft über als eine Million Menschen auf die Straße brachte und die Strategie der Liste JxS ausgearbeitet hat.

Als Beweis, das Madrid die Katalanen noch immer assimilieren will, dienen unter anderem die Verfassungsklage des Partido Popular (PP) von Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy gegen ein neues Autonomiestatut aus dem Jahr 2006 sowie ein Schulgesetz, das die katalanische Sprache in der Bildung zurückdrängen will.

"Spanien bestiehlt uns"

Doch es sind nicht diese Mythen des kleinen wehrsamen Völkchens, die den Wunsch nach Unabhängigkeit in den letzten Jahren haben zunehmen lassen: Es sind die Krise und die Sparpolitik. "Spanien bestiehlt uns", lautet ein Satz von Separatisten jedweder Couleur. "Katalonien stellt 16 Prozent der Bevölkerung Spaniens, produziert 20 Prozent des Reichtums, bezahlt 24 Prozent der Steuern und erhält nur zehn Prozent der staatlichen Ausgaben", rechnet Lluis Pérez von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona vor.

Mas nutzt dieses Argument geschickt: Würde Katalonien alle Steuereinnahmen behalten, wäre die Austerität nicht nötig gewesen. Kein Wort darüber, dass die reichen Regionen die ärmeren unterstützen. Dies kam, so sieht man jetzt, bei den Wählern gut an.

Dass auch Linke Mas trotz Sparpolitik und Korruptionsfällen zur Seite stehen, mag verwundern. Doch dahinter steckt ein politisches Kalkül: Für ERC und CUP ist Spanien ein hoffnungsloser Fall – während sie fest daran glauben, ein unabhängiges Katalonien reformieren zu können. Sie reden von einem sozial gerechteren Land, von einem Land ohne Korruption. "Die sozialen Auswirkungen der Krise wurden geschickt genutzt, um die Verärgerung klassenübergreifend zu nutzen", schreibt Josep Borrell, Ex-Präsident des EU-Parlaments, Sozialist und Kämpfer für den Verbleib seiner Heimat Katalonien in Spanien.

Vom nationalistischen Teil des Diskurses einmal abgesehen, gleichen die Argumente denen der Empörten, die 2011 überall in Spanien Prostestcamps einrichteten und deren Forum die Protestpartei Podemos ist. "Die Ergebnisse dieser Wahlen können die Ankündigung einer globalen Krise unseres politischen Systems sein; Opfer einer zunehmenden Verdrossenheit; als Folge der Korruption und des Fehlens eines Projektes für die Zukunft", warnt der Herausgeber von El País in einem Leitartikel am Tag nach der Wahl. (Reiner Wandler aus Madrid, 29.9.2015)