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Ankunft von Flüchtlingen in München in einem Sonderzug aus Österreich.

foto: dpa/armer

Auch am Montag sind wieder Sonderzüge für Flüchtlinge aus Österreich nach Deutschland gefahren. Darauf hatten sich die Innenministerien am Sonntag verständigt. Die Nervosität, die das Hin und Her davor begleitete, zeigt jedoch das ganze Ausmaß der Ratlosigkeit von Politik und Behörden angesichts des fortgesetzten Flüchtlingsandrangs. Einer Ratlosigkeit, die den in diesem Fall österreichischen und deutschen Playern angesichts des Fehlens praktikabler übergeordneter, gesamteuropäischer Auswege nicht einmal zu verdenken ist.

Denn was hätte eine Beendigung der Sonderzugfahrten zwischen Salzburg und München für Folgen? Erstens würde für die Flüchtlinge eine wichtige Erleichterung auf einer (von vielen oft grausamen) Etappen ihres Weges wegfallen. Eine Erleichterung, in der sich die deutsche Willkommenskultur gegenüber den Flüchtlingen ausdrückt, wodurch sich Deutschland wohltuend von anderen Staaten (allen voran Ungarn) unterscheidet.

Österreich als Sackgasse

Dadurch müssten zweitens weit mehr Flüchtlinge als bisher in Österreich versorgt werden, wo man sich ihnen gegenüber bisher ebenfalls human und menschenrechtskonform verhält (zumal die meisten lediglich durchreisen). Fallen die Sonderzüge weg, würden die meisten Flüchtlinge versuchen, über die grüne Grenze nach Deutschland und weiter zu gelangen, Schengenregeln hin oder her. Diese Weiterfahrt müssten sie – wohl auch schlepperunterstützt – hier in Österreich vorbereiten. Oder sie suchen hier um Asyl an.

Angesichts dessen würde man drittens hierzulande wohl trachten müssen, die Zahl zu versorgender Flüchtlinge in bewältigbaren Grenzen zu halten. Wie kann man das erreichen, solange so viele Menschen über die Balkanroute kommen? Wohl nur, indem man ihnen die Ein- und Weiterreise erschwert. Also: Grenzen zu, soweit das geht, keine Hilfe beim Weitertransport mehr.

Weiterer Aufwind für die FPÖ

Das wiederum würde der FPÖ noch weiter entgegenkommen, als es die aktuelle Flüchtlingssituation bereits tut. Jeder aufgegriffene Flüchtling wäre für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache dann ein möglicher "Illegaler", der tunlichst zurück über die Grenze Richtung Osten zu verfrachten wäre.

Und überhaupt, hieße es von FPÖ-Seite dann, wann beginnt endlich der Zaunbau? Auch wenn Zäune, wie sich derzeit an den weiterhin beträchtlichen Zahlen aus Ungarn kommender Flüchtlinge zeigt, praktisch nur wenig abschreckend wirken. Aber egal ...

In der Folge wäre es viertens nicht unwahrscheinlich, dass sich die Rückhalte- und Rückdrängaktionen in einer Art Kettenreaktion nach Osten ausbreiten. Ein auf der Balkanfluchtroute gelegenes Land nach dem anderen könnte durch vergleichbare Abschottungsmaßnahmen versuchen, der Rolle als Flüchtlingssackgasse zu entgehen. Resultat: ein Europa einzelstaatlicher Abriegelungen, eine EU der zu beträchtlichen Hürden aufgebauten Binnengrenzen.

Schieflage der Projekts EU

Somit ist das Hin und Her um die Sonderzüge zwischen Salzburg und München symptomatisch für die extreme Schieflage, auf der sich aufgrund von rund 8.000 Flüchtlingen, die derzeit täglich die von 508 Millionen Menschen bewohnte EU erreichen, das gesamte europäische Projekt befindet. Was sich im österreichisch-deutschen Grenzgebiet manifestiert, ist das Fehlen eines funktionierenden europäischen Asylsystems.

Im konkreten Fall fehlt der Plan, wohin außer nach Deutschland und Schweden die vielen schutzsuchenden Menschen aus Österreich weiterreisen können. Und die wirklich schlechte Nachricht ist, dass es einen solchen Plan auch bis auf weiteres nicht geben wird: Die per Mehrheitsbeschluss auf die EU-Agenda gehievten Flüchtlingsquoten sollen lediglich die völlig überforderten Erstankunftsländer in der EU – Griechenland, Ungarn und Italien – entlasten, nicht aber Staaten wie Österreich und Deutschland, in und durch die die Menschen in der Folge kommen.

"Spitze des Eisbergs"

Das wiederum könnte sich in den kommenden Monaten und Jahren noch bitterer rächen als bisher: Laut jüngsten Prognosen des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR könnte der derzeitige Andrang nur die "Spitze des Eisbergs" einer noch weit größerer Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten sein, vor allen dem immer instabileren Irak.

Selbst wenn unsicher ist, ob es wirklich so kommt (hoffentlich nicht): Auch die derzeit starke Fluchtbewegung war vom UNHCR lange als mögliche Entwicklung angekündigt worden. Man ignorierte sie – wohl auch, weil man wusste, wie ungeeignet die Verfasstheit Europas und des Großteils seiner Staaten ist, hier Lösungen zu finden.

Diese würden in einem völligen Umdenken liegen, sowohl in den einzelnen Staaten als auch in der EU und auf internationaler Ebene: eine gigantische Aufgabe. (Irene Brickner, 28.9.2015)