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Der tiefe Fall der Landeswährung Griwna hat die Inflation in der Ukraine auf 50 Prozent getrieben. Jetzt zahlt Kiew nicht mehr.

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"Mit einem Bein über dem Abgrund", nutzte Präsident Petro Poroschenko den Bergsteiger-Vergleich, um die dramatische Wirtschaftslage der Ukraine zu beschreiben. Seine Lagedarstellung endet optimistisch: "Einem erfahrenen Alpinisten gleich haben wir Kraft gesammelt, uns gehalten und setzen unseren Aufstieg zum Gipfel fort", sagte er. Angesichts der angespannten Finanzlage eine gewagte Prognose.

Erst am Mittwoch hatte Kiew die Auszahlung einer Schuldenrate über 500 Millionen Dollar abgesagt. Man hoffe, dass die Besitzer der Schuldpapiere "nicht versuchen werden, wegen der zeitweisen Einstellung der Zahlungen ihre Rechte auszunutzen, da es sich lediglich um eine technische Entscheidung handelt", teilte das Finanzministerium dazu mit.

Russland verweigert Nachlass

Tatsächlich gibt es mit der Mehrheit der Gläubiger schon eine Einigung, die, weil sie erst Ende August erzielt worden ist, noch nicht schriftlich fixiert wurde. Die Ukraine schickt diesen Vorschlag zur Restrukturierung der Schulden an die Gläubiger. Unter den Anleihehaltern sind laut früheren Angaben auch die Raiffeisenbank International (242 Millionen Euro) über ihre Tochter Aval und die Bank Austria (76 Millionen). RBI betont, vom jetzigen Schuldenschnitt nicht betroffen zu sein. Auch mit Russland will die Ukraine einen Vertrag abschließen, doch Moskau verweigert einen Nachlass.

Die Vereinbarung birgt ohnehin Risiken: Der Zeitdruck ist groß, bis Ende Oktober soll die Umstrukturierung abgeschlossen sein. Die Gläubiger jedoch, die auf Kurzfrist-Anleihen sitzen, sind verärgert: "Franklin Templeton hat auf Kreditgeberseite die Verhandlungen geführt und ziemlich egoistisch die besten Konditionen für diejenigen ausgehandelt, die Langzeitanleihen halten", sagt Sergej Fursa von Dragon Capital. Laut der Kanzlei Shearman & Sterling, die die Unzufriedenen vertritt, sind sie bereit, den erzielten Kompromiss platzen zu lassen.

Riesige Etatbelastung droht

Tatsächlich ist die Einigung nur etwas für Investoren mit langem Atem. Zunächst einmal erhält Kiew einen Zahlungsaufschub von vier Jahren und hat sogar eine Senkung des 19 Milliarden Dollar schweren Schuldenbergs um 20 Prozent erreicht. Die neuen Papiere werden zu einem Satz von 7,75 Prozent verzinst.

Allerdings haben sich die Kreditoren eine Hintertür offengelassen, um an ihr Geld zu kommen. Sollte das ukrainische BIP bis 2020 ein Volumen von 125,4 Milliarden Dollar erreichen und weiter wachsen, so muss Kiew die darauffolgenden fünf Jahre ein Prozent seines BIP an die Gläubiger weiterreichen und weitere 15 Jahre 40 Prozent von der Summe, die über ein BIP-Wachstum von vier Prozent hinausgeht.

Wirtschaftseinbruch

Die Weltbank taxierte das nominale BIP der Ukraine 2014 auf 131,8 Milliarden Dollar und den Wirtschaftsabschwung heuer auf zwölf Prozent, wozu noch eine Währungsabwertung kommt. Auch im nächsten Jahr geht es nur mäßig voran mit der Wirtschaft. Trotzdem mutet die Wette der ukrainischen Regierung im Schuldenpoker seltsam an. Für Kiew verbieten sich fast hohe Wachstumsraten. Ansonsten könnten sich die jetzt eingesparten 3,6 Milliarden Dollar Schulden schnell vervielfachen. Die Einigung wirkt so, als zweifle die ukrainische Regierung selbst daran, ein stabiles Wirtschaftswachstum zu erzielen – oder daran, zum fraglichen Zeitpunkt noch im Amt zu sein. (André Ballin aus Moskau, 25.9.2015)