Ein junger Mann schläft auf der Straße bei der Betreuungsstelle in Traiskirchen. Den Schlafsack bekam er von einem freiwilligen Helfer, der nachts nach obdachlosen Flüchtlingen Ausschau hält.

Foto: Maria von Usslar

Es ist ein Uhr früh, als eine Katze in der herbstlichen Kälte am menschenleeren Gehsteig vor dem Flüchtlingszentrum in Traiskirchen entlangspaziert. Von der nächtlichen Lärmkulisse, die Anrainer beklagten, als im Sommer fast 5000 Menschen das Lagerareal bewohnten, ist nichts zu hören. 2700 Menschen wohnen in etwa noch dort.

Hin und wieder fährt die Polizei durch die Dunkelheit oder jemand, der zu später Stunde einen Parkplatz sucht. Alexs Zauner ist aus einem anderen Grund unterwegs. Er ist auf der Suche nach obdachlosen Flüchtlingen. Mit Schlafsäcken, Lebensmitteln und Wasserflaschen auf der Rückbank dreht er langsam seine Runden. Er mache das regelmäßig und treffe immer wieder Personen an, die außerhalb des Lagers auf der Straße gestrandet seien. Auch in dieser Nacht wird Zauner fündig.

Ein junger Mann steht unschlüssig herum. Er sei aus Kärnten zur Erstbefragung nach Traiskirchen geschickt, aber hier nicht eingelassen worden, sagt er. Warum er schon angereist sei, wenn die Befragung erst am folgenden Nachmittag stattfindet? Weil er sich am Tag des Termins um acht Uhr melden müsse, sagt Hemat*. Das Innenministerium (BMI) bestätigt das nicht. Ladungen mit Nächtigung stelle man wegen Platzmangels nicht aus, schreibt ein Sprecher dem STANDARD.

"Good night"

Für Zauner ist das nicht neu: "Ich krieg mit, dass die Leute wegen solcher Transfers obdachlos werden." Hemat winkt ab: Es sei nicht weiter schlimm, es sei ja nur eine Nacht. Er legt sich in den Schlafsack, den Zauner ihm gegeben hat, und ruft "Good night".

Bei Pater Jochen Häusler in der katholischen Kirche von Traiskirchen zeichnet sich einige Stunden zuvor ein ruhiger Abend ab. Wenn Flüchtlinge eine Unterkunft gebraucht hätten, dann hätte bereits jemand angerufen – etwa der Bürgermeister oder der evangelische Pfarrer, der auch regelmäßig Leute bei sich aufnehme. Er könne sich auch vorstellen, dass Anrainer abends durchfahren und Flüchtlinge "einsammeln".

Die Asylsuchenden blieben meist nur eine Nacht, denn am nächsten Tag begleite er sie zur Betreuungsstelle und helfe ihnen dabei, aufgenommen zu werden. Das sei wichtig, denn "wir wollen hier kein Parallelsystem aufbauen" zum eigentlichen Traiskirchner Quartiergeber, dem Innenministerium. Dort wisse man nichts davon, dass Personen außerhalb des Lagers untergebracht würden. Simone Mayer von der Asylberatung Meidling spricht von 50 bis 60 Flüchtlingen, die täglich aus verschiedenen Gründen in Traiskirchen auf der Straße landen würden. Dem Innenministerium zufolge gebe es derzeit niemanden, dem kein Bett zugewiesen ist.

Tee trinken und austauschen

Für Mayer ist es ein geschäftiger Tag. 30 bis 40 junge Männer haben sich in einem der Pfarrräume versammelt. Sie wärmen sich auf, trinken Tee, tauschen sich aus – darunter Syrer, die vor zwei Tagen aus der Betreuungsstelle abgemeldet wurden. Sie hätten in das Quartier im slowakischen Gabcikovo gebracht werden sollen, verweigerten aber den Transfer.

Die vergangenen zwei Nächte seien sie etwa in der Moschee untergekommen. Manche würden in den Weingärten schlafen oder über den Zaun zurück ins Lager springen, sagt Birgit Pinz, die sich privat engagiert. Letzteres könne nicht gänzlich verhindert werden, heißt es aus dem BMI.

Klein, aber genauso bekannt

Mayer bemüht sich, den Syrern zu erklären, was die Unterbringung in der Slowakei für sie bedeutet. Ein junger Syrer hat Tränen in den Augen. Die Flüchtlinge reden durcheinander, äußern ihre Bedenken: Dürfen sie das Quartier in der Slowakei verlassen? Wo können sie Deutsch lernen? Was bedeutet der Transfer in ein anderes Land für ihr Asylverfahren? Sie fühlen sich nicht ausreichend informiert. Das BMI widerspricht: Es gebe Infozettel und eine Infoveranstaltung. Deutschkurse würden in Gabcikovo angeboten. Die dort Untergebrachten seien zum Aufenthalt in der Slowakei berechtigt.

Und was sagen die Traiskirchner zur aktuellen Situation in ihrer Stadt, die "viel kleiner als Wien, aber mindestens genauso bekannt ist", wie es eine Einheimische ausdrückt? Sie sitzt mit Freundinnen bei Weißwein im Heurigen. Die Flüchtlinge würden nicht mehr "in Scharen zum Hofer gehen", sagt eine der Frauen. Alles wirke organisierter, es gebe weniger Müll als im Sommer, sind sich die Damen einig. Und obwohl man als Traiskirchner Flüchtlinge gewöhnt sei, vergehe kein Abend, wo nicht über sie geredet werde. (Christa Minkin, 25.9.2015)