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Bis 2020 soll von Spielen bis VR-Reisen ein Milliardenmarkt rund um Virtual Reality entstehen.

Foto: AP Photo / Jae C. Hong

Medienrevolutionen haben es an sich, dass ihnen gleichermaßen gigantische Investitionen vorausgehen und sie so lange verneint werden, bis bestehende Märkte auf den Kopf gestellt worden sind. Radiomenschen belächelten in den 50ern die noch so grüne Fernsehwelt, Anfang der 2000er bekämpfte die Musikindustrie Tauschbörsen, und selbst 2015 gibt es noch Zeitungen, die die Chancen des Internets nicht ergreifen.

Wenn Ende des Jahres und Anfang 2016 die ersten konsumententauglichen Virtual-Reality-Systeme (VR) auf den Markt kommen, steht mit all den gleichen Begleiterscheinungen das nächste große Ding ins Haus.

Die Zeit ist reif

Dafür sprechen sowohl das Konzept wie auch die Marktumstände. Nach Jahrzehnten der Fortschritte bei Prozessoren, Sensoren und Displays ist VR heute eine Technologie, die es erstmals Otto Normalverbraucher ermöglicht, in digital erstellte Umgebungen einzutauchen und in fiktiven Orten das Gefühl der physischen Präsenz zu haben.

Games bilden dank der Expertise dieser Branche, virtuelle Welten in Echtzeit zu generieren, den logischen Einstieg. Schon bald wird man in Polygonraumschiffe steigen und in die Weiten des Alls fliegen können. Shooter, Action-Adventure und neue Genres werden Videospiele mit einem Grad der Immersion erlebbar machen, wie man es bisher nicht kannte.

Gleichzeitig bietet sich VR aber genauso für digitale Reisen, Architektur und Medizin sowie Besuche von Konzerten und Sportveranstaltungen von der Couch aus an. Wie das Internet verbindet VR alle zuvor etablierten Medienformen, um diese zugänglicher und interaktiver zu gestalten. Es ist diese Vielseitigkeit, die das Investitionskapital der großen IT-Konzerne und Finanzunternehmen zunehmend locker sitzen lässt.

Goldgräberstimmung

Facebook schlug 2014 zu und übernahm Oculus VR und dessen VR-Brille Rift für zwei Milliarden Dollar. Facebooks Ziel ist es, alle Menschen miteinander zu vernetzen, mit Oculus erwarb man das Ticket zu dem, was für Zyniker die "Matrix" ist. Gleichzeitig konnte man den koreanischen IT-Giganten Samsung dazu verlocken ein mobiles VR-Headset für Smartphones der Galaxy-Serie zu produzieren. Im November erscheint Gear VR für Konsumenten.

Aus einer langjährigen Krise herauskommend, investiert Sony basierend auf dem Erfolg der PlayStation 4 dutzende Millionen in ein eigenes PlayStation-VR-Angebot und dazugehörige Games. Valve, der Betreiber der größten PC-Spieleplattform Steam, will den Markt mit einer offenen Plattform aufrollen und inspirierte den Mobile-Riesen HTC zur Produktion des VR-Systems Vive.

"Das Thema VR hat mittlerweile das Potenzial, unsere Art und Weise zu kommunizieren nachhaltig zu verändern", sagt HTC Product Director Fabian Nappenbach gegenüber dem STANDARD. "Die Einsatzbereiche gehen weit über Gaming-Anwendungen hinaus. Eine Eingrenzung der Einsatzgebiete ist quasi nicht vorhanden." Nappenbach spricht damit zahlreiche Initiativen abseits der Spielindustrie an.

Gigantischer Markt in sicht

Das Start-up Jaunt etwa konnte innerhalb von weniger als drei Jahren rund 100 Millionen Dollar von Investoren wie Goolge oder Disney für die Entwicklung von VR-Kameras, Apps und Studioanwendungen für Kunden wie das TV-Netzwerk ABC aufstellen. Die Hotelkette Marriott experimentiert mit virtuellen Zimmerbesuchen und Fernreisen, und gleich mehrere Hollywood- und auch Pornostudios produzieren bereits VR-Filme, um für den Start der ersten Brillen gewappnet zu sein.

Wenngleich Marktforscher Digi-Capital in den Anfangsjahren vorrangig von einem Einsatz in den Unterhaltungssparten und bei Games ausgeht, erwartet man, dass das VR-Ökosystem bereits bis 2020 einen Jahresumsatz von 30 Milliarden Dollar generieren wird. Zum Vergleich: 2014 rechnete DFC Intelligence, ohne VR mit einzubeziehen, dass die gesamte Games-Industrie 2018 erstmals die 100-Milliarden-Marke übertreffen wird.

Langsamer Aufstieg

Dass diese Revolution über Nacht riesige Kundenströme aktivieren können wird, daran glauben aber auch die Hersteller selbst nicht. "Die Steigerung wird langsam erfolgen", schreibt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg in einer Aussendung zur Oculus-Übernahme. "Ich weiß nicht, ob sich die ersten Smartphones im ersten Jahr millionenfach verkauft haben, aber die Zahlen haben sich dann verdoppelt und verdreifacht, und heute sind sie nicht mehr wegzudenken." Die Analysten von BI Intelligence prognostizieren moderate Verkaufszahlen von unter 30 Millionen VR-Brillen bis 2020. Hindernisse wie hohe Hardwareanforderungen von VR-Spielen, mögliche Übelkeitserscheinungen oder dass man ein klobiges Headset für das Erlebnis tragen muss, würden die Verbreitung zügeln.

Andererseits, wer weiß: Konsumenten nahmen auch flimmernde Schwarz-Weiß-Röhren in Kauf, um die Mondlandung zu sehen. Und sie warteten geduldig, bis sich das 56k-Modem verbunden hatte, um sich mit der Welt zu vernetzen. "In der Lage zu sein, alles tun zu können und jeder zu sein, der man sein will – wie kann es eine bessere Unterhaltungsform geben als VR?", zeigt sich Palmer Luckey, Oculus-Gründer, in einem Interview mit Vanity Fair euphorisch. "Das ist eine supercoole Welt, in der ich leben möchte." (Zsolt Wilhelm, 1.10.2015)

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