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Der VW-Konzern

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Wolfsburg – Im Diesel-Skandal bei Volkswagen suchten die obersten Aufseher von Europas größtem Autokonzern einen Weg aus der tiefen Vertrauenskrise. Das fünfköpfige Präsidium des Aufsichtsrats traf sich am Mittwoch in Wolfsburg, um über Konsequenzen aus der Affäre zu beraten. Laut Nachrichtenagentur Reuters tritt Martin Winterkorn zurück.

An der Sitzung nehmen der Interimsvorsitzende des Präsidiums, Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Großaktionärs-Vertreter Wolfgang Porsche sowie Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Stellvertreter Stephan Wolf teil. Inzwischen ist auch Vorstandschef Martin Winterkorn dazugekommen.

Der Absturz der VW-Aktie setzte sich Mittwoch früh fort. Nach Börsenstart in Frankfurt am Main verlor die Aktie zeitweise acht Prozent. Danach griffen Schnäppchenjäger zu und stoppten den Kurssturz. Die Vorzugspapiere, die am Vormittag noch bis auf 95,51 Euro und damit auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen waren, erholten sich leicht. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals hatte sie am Montag und Dienstag fast 40 Prozent verloren.

Der Absturz der Aktie hat auch die deutsche Finanzaufsicht auf den Plan gerufen. Eine Sprecherin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bestätigte am Mittwoch einen Bericht in der "Welt", wonach die Behörde mögliche Unregelmäßigkeiten beim Handel mit VW-Aktien prüfe. Es handle sich aber um eine routinemäßige Untersuchung, die immer bei großen Kursschwankungen anstehe, betonte sie.

Entschuldigung

VW-Chef Winterkorn hatte am späten Dienstagnachmittag öffentlich um Entschuldigung für die Manipulation von Abgastests bei VW-Dieselautos gebeten und rasche Aufklärung versprochen. Der Konzern hatte zuvor bekanntgegeben, dass weltweit elf Millionen Wagen betroffen sind. VW bildet daher eine Milliardenrückstellung und hat eine Gewinnwarnung veröffentlicht.

Über eine Rückrufaktion für die von der Abgas-Affäre betroffenen Dieselwagen habe VW noch nicht entschieden – genaue Informationen über die fraglichen Modelle gebe es bisher nicht. "Soweit sind wir noch nicht, wir kennen ja erst seit gestern die Zahl", sagte am Mittwoch ein Konzernsprecher der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Am Dienstag erklärte der Konzern, dass sich die Software zur Manipulation von Abgaswerten weltweit in elf Millionen Dieselfahrzeugen befindet.

Kommission weiß noch nichts

Österreichs Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) forderte die EU-Kommission auf, aus den Manipulationen Konsequenzen zu ziehen und die Überprüfung der Abgasemissionen im realen Fahrbetrieb zu beschleunigen und verschärfen.

Die Kommission selbst konnte am Mittwoch noch nicht sagen, ob auch Messwerte von Wagen in Europa manipuliert worden sind. "Es ist heute zu früh um zu sagen, ob Volkswagen-Fahrzeuge in Europa betroffen sind", erklärte eine Vertreterin der Brüsseler Behörde am Mittwoch bei einer Anhörung vor dem Umweltausschuss des Europaparlaments. Es gelte jetzt vor allem zu klären, ob nur VW und nur der amerikanische Markt betroffen seien.

Volkswagen Group

Die Erklärung von Martin Winterkorn

Falls auch deutsche Autobesitzer betroffen sind, sieht der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) VW in der Pflicht, diese zu entschädigen. VW müsse jeden betroffenen Verbraucher von Schäden freistellen, um Vertrauen zurückzugewinnen, und entweder "alle betroffenen Fahrzeuge nachrüsten" oder einen individuellen Anspruch auf Nachrüstung zugestehen, erklärte vzbv-Vorstand Klaus Müller am Mittwoch in Berlin. Zudem forderte er die Bundesregierung auf, Prüfverfahren und Autos in Zukunft stärker zu kontrollieren und zu regulieren. Bisher werde die Automobilindustrie in Deutschland mit "Samthandschuhen angefasst".

Die deutsche Regierung erhebt angesichts der Abgasaffäre allerdings keine Rücktrittsforderungen gegen Winterkorn. Darüber habe die Regierung nicht zu entscheiden, sagte Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Mittwoch in Berlin. Er forderte den Konzern dazu auf, seine Kunden über die Affäre um manipulierte Abgaswerte in vollem Umfang aufzuklären und so Vertrauen zurückzugewinnen. Er habe bei Gesprächen mit VW Unterstützung für der Aufklärung festgestellt.

Wissen um erhöhte Werte

Am Mittwoch wurde allerdings bekannt, dass die deutsche Regierung bereits seit mindestens einem Jahr von vielfach überhöhten Abgas-Werten bei Diesel-Autos weiß. Man habe seit dem Herbst 2014 belastbare Indizien, dass selbst moderne Euro-6-Diesel erheblich erhöhte reale Stickoxid(NOx)-Emissionen aufwiesen, schrieb die Regierung im August in ihrer Antwort auf ein Mahnschreiben der EU-Kommission, die Reuters am Mittwoch vorlag.

Messungen hätten Werte von mehr als dem Sechsfachen des vorgeschriebenen Grenzwertes ergeben. Die deutsche Regierung wertet dies selbst als kritisch, da man im Kampf gegen krebserregenden Feinstaub gerade auf die moderne Euro-6-Dieselnorm gesetzt habe. "Diese erhebliche Abweichung wiegt umso schwerer, als die schnelle und breite Marktdurchdringung von Euro-6-Diesel-PKW in den letzten Jahren als unverzichtbare Maßnahme dafür angesehen wurde, um die Dauer der Überschreitung (der EU-Grenzwerte) so kurz wie möglich zu halten", heißt es im Schreiben.

Kritik aus eigener Branche

Kritik trifft VW auch aus der eigenen Branche. Die im Verband der Automobilindustrie (VDA) zusammengeschlossenen Autohersteller und Zulieferer zeigten sich am Mittwoch "betroffen über die bei einem Unternehmen in den USA festgestellten Verstöße gegen Abgastests". Die bekanntgewordenen Geschehnisse widersprächen dem Selbstverständnis der Automobilindustrie, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. "Eine Praxis, in der es zu einer missbräuchlichen Anwendung einer speziellen Motorensoftware gekommen ist, darf nicht akzeptiert werden."


Kanada ist alarmiert

Inzwischen gibt es auch internationale Reaktionen auf die Vorwürfe. Das US-Justizministerium leitete strafrechtliche Ermittlungen ein und die kanadische Umweltbehörde teilte am Dienstag mit, rund 100.000 Dieselfahrzeuge von VW und Audi aus den Baujahren 2009 bis 2015 zu untersuchen. Dazu bestehe Kontakt zur EPA und der kanadischen Volkswagen-Tochter. Die Höchststrafe für Verstöße gegen kanadische Umweltgesetze liegt bei sechs Millionen kanadischen Dollar, umgerechnet vier Millionen Euro.

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Journalisten warten am Mittwoch vor den Toren des VW-Werks in Wolfsburg.
Foto: APA/Julian Stratenschulte

In den USA könnten alleine die EPA-Untersuchungen eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar nach sich ziehen. Zudem leitete das US-Justizministerium Strafermittlungen ein, wie eine mit der Sache vertraute Person sagte. Die New Yorker Staatsanwaltschaft kündigte gemeinsame Untersuchungen mit Kollegen aus anderen Bundesstaaten an. In Kalifornien gab die Emissionsschutzbehörde bekannt, ihre Prüfung auszuweiten auf Dieselvarianten des Porsche Cayenne und des Audi A6. Porsche wollte sich dazu nicht äußern. Von Audi war zunächst keine Stellungnahme zu bekommen.

Die Vorwürfe gegen Volkswagen und die VW-Tochter Audi waren am Freitag öffentlich geworden. Nach Angaben der US-Umweltbehörde EPA entwickelte Volkswagen eine Software, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt.

VW heuert bekannte US-Anwaltskanzlei an

Volkswagen hat unterdessen die US-Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis LLP angeheuert, berichtete die Agentur Bloomberg am Dienstagabend unter Berufung auf eine VW-Sprecherin. Die Kanzlei hatte den Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon" im Jahr 2010 mit elf Toten vertreten. Eine Sprecherin der Kanzlei lehnte eine Stellungnahme ab.

Klage in Brasilien

VW ist indes auch mit Vorwürfen anderer Art konfrontiert. In Brasilien ist eine Zivilklage wegen des Verhaltens während der Militärdiktatur in dem Land eingereicht worden. VW habe während der Diktatur in den Jahren 1964 bis 1985 die Folter und illegale Festnahme von Mitarbeitern hingenommen, erklärte das Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung am Dienstag.

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Foto: Reuters/Ina Fassbender

Der Konzern habe "die Existenz einer Staatspolizei im Inneren des Unternehmens" zugelassen, sagte Sebastiao Neto vom Arbeiterforum der Nachrichtenagentur AFP. Zwölf ehemalige Mitarbeiter des VW-Werks in São Bernardo do Campo nahe São Paulo waren laut der Klagsschrift festgenommen und gefoltert worden. Das Unternehmen soll daher nun Entschädigungen zahlen. (APA, red, 23.9.2015)