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Deutscher Ex-Außenminister Genscher: Flüchtlinge brauchen Solidarität.

Foto: apa

Eigentlich sollte sich die Medienkonferenz M100 Sanssouci am Donnerstag mit der Neuordnung der Welt 70 Jahre nach dem Potsdamer Abkommen auseinandersetzen. Aber die aktuelle Flüchtlingssituation war bei dem Colloquium, an dem Chefredakteure, Politiker und Historiker teilnahmen, ein zentrales Thema. Außenminister Frank-Walter Steinmeier nutzte die Gelegenheit, um Humanität und "europäische Solidarität" bei der Verteilung der Flüchtlinge einzufordern. "Es kann nicht sein, dass nur eine Handvoll Länder Flüchtlinge aufnehmen. Asyl ist nicht nur ein deutsches Grundrecht." Auch in Syrien selbst müsse man eine Lösung finden nach fünf Jahren Bürgerkrieg: "Wir haben eine hohe moralische Verpflichtung."

Zuvor hatte bereits der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher mehr Solidarität eingemahnt. Es müsse "Respekt für die Würde des Menschen" geben. Der 88-Jährige, der sich von einer Krankheit erholt und per Video zugeschaltet war, nannte die Migrationsfrage "eine der drängendsten Herausforderungen für unsere Gesellschaften". Er verlangte einen "energischen Neustart der EU – nicht irgendwann, sondern jetzt".

Stärkere Einbindung Russlands

Auffällig war, dass Genscher, der von 1974 bis 1992 Außenminister war, mehrfach für eine stärkere Einbindung Russlands eintrat. Die europäischen und globalen Herausforderungen könnten nur gemeinsam gelöst werden, "sicher nicht ohne oder gar gegen Russland". Genscher nannte Russland den "wichtigsten Partner in Europa". Er rief die Nato auf, den "grob vernachlässigten Konsultationsmechanismus" mit Russland zu nutzen.

Jamie Shea, stellvertretender Nato-Generalsekretär, ging in seiner Rede nicht direkt darauf ein. Er betonte, dass es Russlands Entscheidung sei, wenn es nicht zum Westen gehören wolle. Aber Moskau dürfe nicht Nachbarstaaten davon abhalten. Die Annexion der Krim sei nicht etwas, was man als "lokale Schwierigkeit" betrachten könne. Es gehe auch nicht nur um die Ukraine. "Wir stehen vor einer Bedrohung nicht nur für Europa, sondern für die liberale Ordnung", sagte Shea. "Wenn man von Wien aus nach Westen schaut, dann kann man optimistisch sein. Wenn man von Wien aus nach Osten blickt, dann schaut es viel düsterer aus als noch vor 18 Monaten." Nach Angaben Sheas, der als Nato-Sprecher während des Jugoslawienkriegs fungierte, werden global die Schocksituationen häufiger. Er sprach von 200 wesentlichen Vorfällen pro Monat – von Syrien bis zur Sahelzone.

Shea sieht auf Europäer neue Herausforderungen zukommen, weil die Amerikaner nicht mehr bereit seien, eine so große Rolle im Sicherheitsbereich zu spielen wie zur Zeit des Kalten Krieges. "Sind die Europäer bereit, diese Last zu tragen?", fragte Shea.

Am Abend wurde die Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" mit dem M100-Medienpreis für Verdienste um die Pressefreiheit und Demokratie ausgezeichnet. Chefredakteur Gérard Biard pochte auf das Recht, auch Religionen zu verspotten. "Das hat nichts mit Blasphemie zu tun." (Alexandra Föderl-Schmid aus Potsdam, 17.9.2015)