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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (links) blockte Fragen ab, EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici sieht internationale Multis bevorzugt.

Foto: Reuters/Hermann

Brüssel/Straßburg –Der Auftritt von Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Donnerstag vor einem Sonderausschuss des EU-Parlaments in Brüssel hätte eigentlich die Aufklärung eines der großen Steuerskandale der vergangenen Jahre in Europa voranbringen sollen.

Doch nachdem Juncker den Abgeordneten Rede und Antwort gestanden war, dominierten bei vielen Parlamentariern Wut und Enttäuschung. "Ich bin erschüttert über die Antworten Junckers", sagte der FDP-Politiker und führende Ausschussvertreter Michael Theurer. "Der Kommissionschef hat Nebelgranaten geworfen", schimpfte der Grünen-Politiker Sven Giegold.

Der "Taxe"-Ausschuss des Parlaments untersucht seit rund einem halben Jahr den Luxleaks-Skandal. Ins Rollen kam diese Affäre im November 2014, nachdem einigen Medien tausende Seiten an vertraulichen Steuerunterlagen aus Luxemburg zugespielt wurden. Brisant waren vor allem rund 500 Steuervorbescheide.

Pepsi, Disney, Ikea und Co

Mit diesen Bescheiden ließen sich multinationale Konzerne komplexe Firmenkonstrukte und Transaktionen von der Steuerverwaltung in Luxemburg als legal absegnen. Zweck solcher Vorabsprachen war es sicherzustellen, dass man später für Gewinne keine oder kaum Abgaben zahlen muss. In vielen Fällen lag die reale Steuerlast der Firmen tatsächlich bei unter einem Prozent. Neben Pepsi profitierten auch Disney, die Deutsche Bank und Ikea von solchen Absprachen.

"Niemals in meinem Leben"

Die Unterlagen von Luxleaks beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 2002 und 2010, was brisant ist, weil Juncker in dieser Zeit sowohl Finanzminister (1989–2009) als auch Premierminister (1995–2013) in Luxemburg war.

Juncker bestritt vor dem EU-Parlament, irgendetwas mit dem System der Vorabsprachen zu tun gehabt zu haben: "Ich habe niemals in meinem Leben Anweisungen an die Steuerverwaltung gegeben." Er habe niemals eine gezielte Strategie entwickelt, um ausländische Konzerne mit Steuervorteilen ins Land zu locken. Juncker sagte zudem, dass er als Finanzminister auch nicht die Regeln gemacht habe. Luxemburg sei ein Rechtsstaat, wo Gesetze vom Parlament beschlossen würden.

Hitzige Wortgefechte

Der Kommissionschef meinte zwar, dass es Missbrauch bei den Steuervorbescheiden gegeben habe, dies aber ein Problem vieler Länder sei. "Man sollte von EUleaks und nicht von Luxleaks sprechen", sagte der Kommissionschef.

Hitzig wurde es, als sich Abgeordnete bei Juncker über mangelnde Zusammenarbeit mit ihrem Ausschuss beklagten. Seit den 1990er-Jahren gibt es auf EU-Ebene eine Arbeitsgruppe aller Unionsländer zu Fragen der Konzernbesteuerung. Mehrere Abgeordnete haben von der Kommission verlangt, die Protokolle von den Treffen dieser Gruppe weiterzuleiten – vergebens. Die Kommission beruft sich bisher auf Geheimhaltungswünsche einiger EU-Länder.

Als der Abgeordnete Giegold bei Juncker dazu nachfragte, kam es zu Wortgefechten. Juncker antwortete, dass diese Frage der Dokumente an den ebenfalls anwesenden EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici weitergeben werde. Giegold forderte eine Antwort von Juncker. Er werde sich "nicht vorschreiben lassen", was er wann zu sagen habe, sagte der Luxemburger darauf wütend.

Keine Antwort aus Österreich

Mangelnde Kooperation ist ein heikles Thema im Sonderausschuss. Die Parlamentarier hatten an die Finanzministerien in allen EU-Staaten Fragebögen über die jeweilige Praxis bei den Steuervorbescheiden ausgeschickt. Aus fünf Ländern, darunter Österreich, kam bisher keine Antwort, was für Verstimmung sorgt. Zudem ist kaum einer der geladenen Firmenchefs zu Befragungen erschienen. Nicht gekommen sind etwa Ikea-Chef Peter Agnefjäll und Eric Schmidt von Google.

Eine Verpflichtung, vor dem Parlament zu erscheinen, gibt es nicht. Doch die Abgeordneten fühlen sich brüskiert, weil die Lobbyisten der Firmen regelmäßig ins Parlament kommen. "Wir werden zu Fleischbällchen geladen. Wenn wir Antworten wollen, bleibt man aber fern", formulierte es ein Abgeordneter mit Blick auf Ikea. Im EU-Parlament wird erwogen, Vertretern von unkooperativen Firmen ihre Zugangsberechtigung zum Gebäude zu entziehen.

EU-weit verbreitet

Seinen Abschlussbericht zu Luxleaks wollte der Sonderausschuss im Oktober vorlegen. Am Mittwoch verlangten aber mehrere Parteien eine Verlängerung der Untersuchungen wegen der ausgebliebenen Antworten. In einem Zwischenbericht zu Luxleaks im Juli wurde beklagt, dass der schädliche Steuerwettbewerb nicht nur ein Luxemburger Phänomen, sondern EU-weit verbreitet sei. Dies stützt Junckers Darstellung.

Gefordert wird im Parlament die totale Transparenz bei Steuern: Jede Firma in der EU soll in eine Datenbank eintragen, wo sie wie viel Gewinn erwirtschaftet. Abgeordnete wie Othmar Karas (ÖVP) wollen, dass diese Datenbank öffentlich wird. Die EU-Kommission prüft die Idee.

Eine zweite Forderung ist, EU-weite Regen zu schaffen, wie Konzerne Gewinne errechnen. Die Kommission hat einen Vorschlag angekündigt. Früher waren solche Initiativen am Widerstand der Mitgliedsländer gescheitert.

Die SPÖ-Abgeordnete Evelyn Regner – sie sitzt ebenfalls im Ausschuss – verlangt, einen stärkeren Fokus der Aufklärung und Gesetzgebung auf die Arbeit von Wirtschaftsprüfern wie PwC und KPMG zu legen. Diese Unternehmen haben mitgeholfen, Konzerne nach Luxemburg zu locken, und haben die Steuervorabbescheide ausgearbeitet. (András Szigetvari aus Brüssel, 17.9.2015)