Die Bundesregierung ist überfordert. Diesen Eindruck hat sie in Flüchtlingsfragen schon seit Wochen vermittelt, tausendfach wurde es ihr attestiert.

Jetzt aber spricht sie es selbst an. Und das ist ein erster, wichtiger Schritt hin zu einer richtigen Politik. Es gibt Ausnahmesituationen, in denen die politische Führung einfach nicht wissen kann, was alles auf sie – und auf die Bevölkerung – zukommt.

Österreichs Regierung ist in dieser Situation: Sie weiß nicht, wie viele Flüchtlinge noch durch Österreich durchwollen – denn das kann niemand wissen. Sie weiß nicht, wie viele Flüchtlinge, die jetzt und in den nächsten Wochen in unser Land kommen, bei uns bleiben wollen – offenbar sind es einige Hundert pro Tag. Mehr kann man nicht wissen. Und Bundeskanzler Faymann sagt, dass er sich lieber nicht vorstellen mag, was passieren würde, wenn Deutschland seine großzügige Aufnahmepolitik eines Tages aufgeben sollte und die hoffnungsvoll "Germany, Germany" rufenden Menschen plötzlich bei uns festsitzen.

Tatsächlich muss sich Faymann das vorstellen, tatsächlich muss er mit eher mehr als weniger Asylsuchenden rechnen, tatsächlich muss er mit all den Unsicherheiten umgehen.

Dass es diese Unsicherheiten gibt, das kann man Faymann und seiner Regierung nicht vorwerfen. Von Staatsmännern aber darf man – ebenso wie von Feldherren und Wirtschaftsführern – erwarten, dass sie angesichts der Unsicherheit die relative Sicherheit einer zielorientierten Führung vermitteln, die zumindest erkennbare Zwischenziele konsequent angeht.

Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner haben das bei der Regierungsklausur am Freitag zumindest versucht. Sie haben ehrlich gesagt, was sie alles nicht wissen. Und gleichzeitig erklärt, was passieren muss, um die vom Vizekanzler als solche angesprochene Notsituation zu bewältigen.

Dass sie – zu den drei schon bestellten Flüchtlingskoordinatoren – mit Othmar Commenda einen bewährten Offizier ins Führungsteam holen, gibt Anlass zur Hoffnung: Österreichs ranghöchster Soldat hat ja genug Erfahrung mit Mangelverwaltung und Improvisation. Das sollte die Logistik von Flüchtlingstransporten und Flüchtlingsversorgung sicherstellen.

Dass die Regierung pragmatisch mit schulpflichtigen Flüchtlingskindern umgeht – Eingliederung in einen Klassenverband plus Intensivsprachkursen -, ist ebenso ein Fortschritt wie die Öffnung des Lehrstellenmarktes in allen Berufen, wo ohnehin Fachkräftemangel herrscht. Auch dass Qualifikationen rascher anerkannt, die Integration in den Arbeitsmarkt gefördert und die Fördertöpfe stärker befüllt werden sollen, weist in die richtige Richtung.

Kein Mensch kann sagen, ob das ausreichen wird. Kein Mensch kann sagen, wie viele Quartiere man in den nächsten Monaten und Jahren wirklich bauen müssen wird. Aber dass Geld in die Hand genommen wird, dass zu bauen begonnen wird, ist ein Signal, nicht nur an die neu Angekommenen, sondern auch an die heimische Bevölkerung. All das soll halbwegs geordnet, korrekt und rechtsstaatlich passieren, auch wenn Vizekanzler Mitterlehner schon angedeutet hat, dass eine rein technische Abwicklung nicht ausreicht und das Rechtssystem evaluiert werden muss.

Die Regierung vermittelt den Eindruck, dass sie immerhin das kann.

Und dass Österreich stark genug ist, die anstehenden Probleme zu lösen. (Conrad Seidl, 11.9.2015)