Wahlen zu einer Art Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens umzufunktionieren ist auf den ersten Blick eine geniale Idee, um aus einer verfahrenen Situation herauszukommen. Doch bei genauerer Betrachtung kann der Urnengang zum Autonomieparlament eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der nordostspanischen Region nicht wirklich ersetzen.

Denn auch wenn die Liste "Gemeinsam für das Ja" rund um den konservativ-nationalistischen Regierungschef Artur Mas die Wahlen gewinnen und mithilfe der linksnationalistischen CUP eine Mehrheit im Parlament in Barcelona erzielen sollte, kann das nur bedingt als Auftrag zur Loslösung von Spanien gelten: Für die absolute Mehrheit in der Volksvertretung reichen ja auch weniger als 50 Prozent der Stimmen. Es wäre also eine fragwürdige Legitimität, denn in einem Referendum müsste sich die Unabhängigkeit auf mehr als die Hälfte der Wählerstimmen stützen.

Die Konservativen unter dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy wissen das und verschärfen die Gesetzeslage, um die Nationalisten für einseitige Schritte abstrafen zu können. Doch je lauter das Nein aus Madrid schallt, umso mehr Zulauf erhalten die Anhänger der Unabhängigkeit. Der einzige Ausweg besteht in einer echten Volksabstimmung, wie sie Kanada mit Quebec und Großbritannien mit Schottland vorgemacht haben. Spanien und Katalonien brauchen Dialog – eine Politik der Mutigen.(Reiner Wandler, 11.9.2015)