Über keinen anderen Silicon-Valley-CEO wurde in den letzten Monaten mehr diskutiert als über Elon Musk. Wo er mitmischt, entstehen Imperien – egal ob Paypal, Tesla oder SpaceX. Liest man seine Biografie, wird schnell klar: Die zukunftsträchtigen Unternehmen sind vor allem entstanden, weil er mit eiserner Hand regiert. Einer der größten Aufreger des Buches war eine E-Mail an einen Mitarbeiter, der wegen der Geburt seines Kindes nicht zur Arbeit erschien: "Das ist keine Entschuldigung. Ich bin extrem enttäuscht. Sie müssen klären, wo ihre Prioritäten liegen. Wir verändern die Welt und die Geschichte, und entweder sind Sie dabei oder nicht." Musk dementierte die Aussage zwar, aber auch sonst weht ein eisiger Wind aus der Biografie.

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Elon Musk hatte unlängst sogar einen Gastauftritt in der "Big Bang Theory", einer Serie über vier Nerds in Pasadena.
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Führung heißt im Musk'schen Universum, überall seine Finger im Spiel zu haben: Zeitpläne der Mitarbeiter wurden von ihm angepasst, Abkürzungen für komplizierte Begriffe darauf überprüft, ob man nicht ein noch kürzeres Wort finden kann. Ineffizienz ist dem 44-Jährigen ein Dorn im Auge, Loyalität oder Empathie gegenüber Mitarbeitern? Fehlanzeige. Musk ist dabei kein Einzelfall. Jeff Bezos' (Amazon), aber auch Steve Jobs' Führungsphilosophie erinnere mehr an jene Alfred Krupps und Henry Fords als an den Geist des Silicon Valley, schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung.

Demokratie in Unternehmen

Ortswechsel. Mitte Februar im kalten München. An der Technischen Universität findet zum ersten Mal eine Konferenz namens "Das demokratische Unternehmen: Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt?" statt. Unternehmer treffen auf Manager, Wissenschafter und Medienvertreter – allen ist die demokratische Mitbestimmung in Unternehmen ein dringendes Anliegen. Vollste Unterstützung auch von der Politik: Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, ist da.

Eine zentrale Message des Tages: Das ist alles gar nichts Neues. Nur sind die Gedanken bezüglich demokratischeren Unternehmen bisher nie in die Praxis umgesetzt worden. Klaus Dörre, Soziologe der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, liefert historischen Hintergrund. Bereits seit 1996 setzt er sich intensiv mit Mitbestimmung in der Arbeitswelt auseinander – und wittert Morgenluft: Jetzt hätten die Jungen ja wirklich die Nase voll von Fremdbestimmung, vom Gesagt-Bekommen, wie man Arbeit und Privatleben zu arrangieren habe, wo man arbeiten solle etc. Unternehmen, die das erkennen würden, seien effizienter und erfolgreicher. Man könnte schlussfolgern, sagt Dörre, dass demokratische Mitbestimmung auch für wirtschaftliche Erfolge sorgt.

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Eine Geschichte des Scheiterns

Während der letzten 50 Jahre sind solche Ansätze dennoch schon zweimal gescheitert: Ende der 60er kam der Impuls von der Straße, Mitte der 80er war es dann das Management selbst, das die Frage nach Mitbestimmung wieder auf die Agenda brachte. Die zunehmende Automatisierung würde zur Höherqualifizierung der Arbeitskräfte führen, argumentierten damals führende Chefs. Die Implikation: Das Wissen der Produzenten werde zu einer Rationalisierungsreserve, gebraucht werden Kompromissstrategien, Alternativen.

Wie Ende der 60er kam aber alles ganz anders, und die Impulse versickerten. The Machine that changed the World wurde zur Bibel für jeden Manager, da wurde versprochen, mit der Hälfte der Belegschaft in der halben Zeit doppelten Gewinn zu machen – "lean production" – und damit volle Kraft in die andere Richtung. "Der Siegeszug der Shareholder-Value-Orientierung und der Kurzfristigkeit ist eine Ursache für das Scheitern früher Partizipationsbestrebungen. Unter dem Druck, schnell die geforderten Gewinne zu machen, war kein Platz mehr für solche Experimente", sagt Dörre.

Sterne für eine Feedback-Kultur

Zurück in die Gegenwart. In einem kleinen Seminarraum mit Blick auf den Neusiedler See sitzt Heiko Fischer vor einer Runde österreichischer Personalmanager. Jeans, T-Shirt und sofort das Du-Wort – der Deutsche lockert die Stimmung auf, hat immer einen witzigen Spruch auf Lager. Heute ist er hier, um mit Personalern über demokratische Mitbestimmung in Unternehmen zu reden. Irgendwie komisch, sagt er selbst, denn wenn man seine Ideen zu Ende denke, dann bedürfe es in der Zukunft eigentlich keiner Personalabteilung mehr. Recruiting oder Personalentwicklung sollen zurück in die Wertschöpfungskette verlagert werden, Demokratie soll Einzug halten, Mitarbeiter sollen keine Human Ressources, sondern vielmehr Ressourceful Humans sein: von HR zu RH.

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Einfacher und für die Mitarbeiter sofort spürbar sei eine solche Veränderung zu mehr Mitbestimmung mit Tools. Den Spielgedanken hat Fischer mit "StaRHs" in die Wirklichkeit umgesetzt: Mit diesem Programm können alle Mitarbeiter Sterne an andere verleihen, für was und wann immer sie wollen. Acht Sterne für die tolle Präsentation gerade, aber nur einen Stern für den Chef, der mal wieder viel zu unrealistische Deadlines gesetzt hat. Die verteilten Sterne sind im Tool dann als kleine Matrix erkennbar – Fischer wirft Screenshots an die Wand, auf denen man stärkere und schwächere, kleinere und größere helle Punkte erkennt, die mit Linien verbunden sind. Wer viele Sterne bekommt, wird zum großen, dicken Punkt, und die verteilten Sterne münden in dünne oder dicke Linien. Für Fischer ist diese Matrix essenziell, um Dynamiken im Unternehmen zu verstehen. Wer trifft die Entscheidungen, und wer wird von anderen gut bewertet? "Hier haben Kunden Schlüsselpersonen im Unternehmen entdeckt, die ihnen sonst nie aufgefallen wären."

Niemand will permanent abstimmen

Was Dörre und Fischer aber beide betonen: einen solchen Prozess, sei es nun das StaRHs-Programm oder andere Liquid-Democracy-Formen in Unternehmen, muss man wollen. Denn partizipativere Arbeitsformen sind anstrengender als ein hierarchisches Management, ganz klar. "Niemand will permanent über alles und jeden abstimmen", erklärt Dörre.

Kann man messen, ob partizipativere Unternehmen tatsächlich erfolgreicher sind, wie Dörre es sagt und wovon auch Fischer überzeugt ist? Versucht wird es zumindest in einem großangelegten Forschungsprojekt des Wissenschaftsfonds FWF in Zusammenarbeit mit der TU München und der Insead Business School in Singapur. Feedbacksysteme, aber auch Open-Source-Projekte wie Wikipedia oder innovative Start-ups würden unser ganzes bisheriges Wissen obsolet machen, ist der Wirtschaftswissenschafter Markus Reitzig von der Uni Wien sich sicher.

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Irgendjemand muss immer entscheiden

Reitzig, der zu strategischem Management, Organisationsentwicklung und Innovationsforschung forscht, vergleicht in dem Projekt bewährte Erklärungsansätze mit neuen und untersucht Fragen in puncto Autorität und Selbstbestimmung in Unternehmen. Auf Basis mehrerer Tausend Beobachtungen evaluieren die Forscher unter anderem, ob Open-Source-Projekte tatsächlich ohne klassische Autorität koordiniert werden können. Innovationen aus der IT befeuerten die Entwicklungen alternativer Organisationsformen. Für Reitzig sind aber Bevölkerungswachstum, grenzübergreifender Waren- und Serviceaustausch und knappe Ressourcen genauso wichtige Auslöser. "Wo immer diese Trends dazu führen, dass man Aufgaben anders definiert, andere Personen als die üblichen betraut, beispielsweise beim Crowdsourcing, oder auch anders entlohnt – überall da entstehen neue Organisationsformen." Autorität und Hierarchie seien noch immer maßgebliche Strukturgrößen. Auch in bunten, unkonventionellen Teams müsse am Ende jemand eine Entscheidung treffen.

Organisationskonzepte – ob mit eiserner Hand, Feedbackkultur oder Open Source kann man nicht eins zu eins auf ein anderes Unternehmen übertragen. Das Erfolgsmodell des FC Barcelona müsse bei anderen Teams auch nicht zwingend zum Champions-League-Titel führen, sagt Heiko Fischer am Ende seines Vortrags. Die Personaler nicken zufrieden, stellen viele Fragen. So richtig bedroht fühlen sie sich noch nicht. (Lara Hagen, 26.12.2015)