STANDARD: Die Neos haben als Wohlfühlpartei begonnen, der Ton wurde deutlich aggressiver. Wieso?
Meinl-Reisinger: Wir spitzen zu, aber die Botschaften sind nicht neu. Wir hatten immer zwei Anliegen: einen aufgeblähten politischen Apparat zu bekämpfen und in Bildung zu investieren.
STANDARD: Bisher war ein Grundsatz der Neos: keine Negativkampagnen.
Meinl-Reisinger: Wir kämpfen für Veränderung, das ist ein Kampf gegen das Establishment.
STANDARD: Haben Sie sich von Ihrem Grundsatz verabschiedet?
Meinl-Reisinger: Was bezeichnen Sie als negativ? Alles, was wir sagen, ist faktenbasiert. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, wir haben einen Bildungsnotstand. Wien ist eine wunderschöne Stadt, aber alle Parameter zeigen nach unten. Die SPÖ profitiert von der Stadt Wien. 19,8 Millionen Euro an öffentlichen Aufträgen haben Unternehmen der SPÖ Wien bekommen. Das ist eine Zahl vom Rechnungshof. Wogegen ich wirklich auftrete, ist Strache.
STANDARD: War es ein Strategiewechsel?
Meinl-Reisinger: Wenn Sie das so beobachten.
STANDARD: Ist die Beobachtung falsch?
Meinl-Reisinger: Wir kämpfen gegen ein politisches System. Erst wenn wir dort eine Veränderung bringen, können wir die Sachen anpacken, die unsere Herzensangelegenheiten sind, wie eine Bildungs- oder eine Pensionsreform.
STANDARD: Ihre Botschaften richten sich gegen Häupl und Strache. Hätten die Neos nicht bessere Chancen, wenn bei den Grünen und der ÖVP nach Wählern gefischt würde?
Meinl-Reisinger: Das ist eine Frage für Analysten. Es gibt hier eine Regierung, die alt, müde und korrupt geworden ist. Die Politik beschäftigt sich nur mit sich selbst, von diesem Gefühl höre ich jeden Tag. Für viele ist die FPÖ eine Hoffnung für Veränderung. Aber wie sollen sie das bringen, wenn die Freiheitlichen selbst am System lange genug mitgenascht haben?
STANDARD: Erreichen Sie mit den Themen Bildung und Transparenz auch den Wiener Hackler?
Meinl-Reisinger: Bildung ist ein Thema, mit dem man mittelfristig Arbeitslosigkeit bekämpfen kann. Mit der Ausbildung in Wien gehen wir in analogen Schritten in eine digitale Zukunft. Das Bildungssystem versaut die Möglichkeiten für Kinder mit geringen Startchancen noch zusätzlich. Der nächste Punkt sind die hohen Lohnnebenkosten, das ist ein Versäumnis vom Bund. Ich habe für Wien den Vorschlag gemacht, die U-Bahn-Steuer und die Kammerumlage zwei auszusetzen, um die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Unternehmer würden mehr Menschen einstellen, aber bei den hohen Lohnnebenkosten geht es sich nicht aus.
STANDARD: Kommt diese Botschaft beim Arbeiter an?
Meinl-Reisinger: Ich spreche jeden in Wien an, der das politische System für verkommen hält. Auch der Arbeitslose in Simmering hat eine Wut auf die Politik. Nehmen wir das Beispiel Stenzel: Glauben Sie, dass es irgendjemanden interessiert, für welche Partei sie jetzt kandidiert? Das ist nur ein Symptom dafür, dass sie nicht in Pension gehen will. Es bringt keine Lösung für die Stadt.
STANDARD: Frau Stenzel ist von der ÖVP zur FPÖ gewechselt, Sie von der ÖVP zu den Neos.
Meinl-Reisinger: Da ist schon ein großer Unterschied. Ich war Angestellte, ich habe mich dort nicht zugehörig gefühlt.
STANDARD: Sie haben im ÖVP-Umfeld gearbeitet. Wird das Vertrauen der Wähler durch die Wechselwilligkeit der Politiker nicht gestört?
Meinl-Reisinger: Bestimmt. Aber es gibt keine Parallelen. Ich habe den Job aufgegeben und habe ohne Fangnetz eine neue Partei gegründet. Ich will nicht nur auf dem Sofa sitzen und schimpfen. Es gibt eine wahnsinnige Wut in der Bevölkerung auf das politische System.
STANDARD: Können Sie diese Wählerwut in eine Prozentzahl für die Neos packen?
Meinl-Reisinger: Schaut's euch die Umfragen an. Das interessiert mich nicht. Ich kämpfe jetzt.
STANDARD: Im Burgenland und in der Steiermark haben es die Neos nicht in den Landtag geschafft.
Meinl-Reisinger: Wir werden in Wien jedenfalls einziehen. Wir sehen, dass wir den Nerv treffen. Es gibt Personen, die in ausgegliederten Betrieben der Stadt Wien beschäftigt sind und in Wahrheit Parteiarbeit machen. Es gibt völlig sinnlose Posten wie Bezirksvorsteherstellvertreter, die niemand kennt, die aber gut bezahlt sind. Wir sehen Einsparungspotenzial von 120 Millionen Euro, das würden wir in die Bildung stecken.
STANDARD: Anfang Juli haben Sie ein Volksbegehren gegen aufgeblähte Politsysteme gestartet. Wie viele Unterstützungserklärungen haben Sie schon?
Meinl-Reisinger: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wir fahren aber parallel eine Petition "G'scheite Kinder statt g'stopfte Politiker". Da haben wir bisher 15.000 Unterschriften. Die Petition ist natürlich einfacher zu unterschreiben als das Volksbegehren, da muss man auf kein Bezirksamt.
STANDARD: Aber das haben Sie vorher auch gewusst. Wieso haben Sie es dennoch so groß angekündigt?
Meinl-Reisinger: Ich habe keine Angst. Mir ist es auch wichtig zu zeigen, wie absurd in Wien direkte Demokratie aussieht. Bürgerbeteiligung ist nicht einmal in der Stadtverfassung verankert.
STANDARD: Sie treten im Wahlkampf gegen "g'stopfte Politiker" auf. Was charakterisiert Sie als arme Politikerin? Sie sitzen seit 2013 im Nationalrat und kassieren 8600 Euro im Monat.
Meinl-Reisinger: Ich will keine Gehälterdiskussion. Wir sollten Leute in die Politik holen, die nicht vom politischen System abhängig sind. Mir geht es um sinnlose Posten und die Kosten für das politische System insgesamt. Die Parteienförderung in Wien macht 27 Millionen Euro jährlich aus.
STANDARD: Sie werben aber explizit mit dem markigen Spruch "g'stopfte Politiker" und nicht mit g'stopfter Politik im Allgemeinen.
Meinl-Reisinger: Ich hab immer gesagt, was ich will: die Parteienförderung halbieren, die Anzahl der Politiker halbieren. Wir brauchen keine 1112 Bezirksräte. Ich habe erfolglos Anträge zur Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte gestellt. Ich halte das für ein strukturell korruptes System, wenn permanent Günstlinge mit Posten und Steuergeld versorgt werden.
STANDARD: Wieso kritisieren Sie "g'stopfte Politiker", wenn Sie für keine Gehaltsdiskussion sind?
Meinl-Reisinger: Das war der Titel unseres Aufbegehrens. Jetzt steht auf den Plakaten "Gegen gierige Politik".
STANDARD: Hat der Slogan in die falsche Richtung geführt?
Meinl-Reisinger: Er hat gut gewirkt.
STANDARD: Sie bekommen in Wien keine Parteienförderung. Wie finanzieren Sie den Wahlkampf?
Meinl-Reisinger: Mit Spenden und Darlehen. Das können Sie alles auf unserer Website nachlesen. Wir sind transparent.
STANDARD: Sind Sie auf die Parteiförderung nach der Wahl angewiesen, um Darlehen zurückzuzahlen?
Meinl-Reisinger: Klar. Deshalb möchte ich trotzdem die Parteienförderung halbieren. Wir müssen damit ein Auslangen finden.
STANDARD: Wenn Sie nicht einziehen: Sind die Wiener Neos dann bankrott?
Meinl-Reisinger: Es gibt eine Risikoklausel. Sonst wird das Darlehen in eine Spende umgewandelt. (Marie-Theres Egyed, David Krutzler, 12.9.2015)