Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich ist es draußen feiner. Im Wald. Im Grünen. Auf dem Hügel. Am Fluss. Oder im Park. Oder zumindest dort, wo das Gelände ein bisserl weiter ist. Und mehr Spielraum bietet als die Frage, ob man am nächsten Hydranten links oder rechts besser vorbeikommt, ohne die Mami mit dem Kinderwagen zu touchieren: Nicht ohne Grund verstehen die meisten Leute unter "Stadtlauf" das Betraben von Boulevards, Fußgänger- und Begegnungszonen oder mehrerer nebeneinanderliegenden innerstädtischen Parks.

Aber: Manchmal geht es halt nicht anders. Weil man zum Beispiel einfach keine Zeit hat, irgendwohin zu fahren, um dort "schön" zu laufen. Oder weil das Lauferl auf dem Plan (oder im Kopf) so kurz ist, dass das Verhältnis zwischen An- und Abfahrtszeit und dem eigentlichen Laufen grotesk wäre. Oder man einfach und ohne Tempo- oder Sonst-was-Druck die Beine kurz ausschütteln will. Oder man die klassische "Hausrunde" so auswendig kann, dass einem alleine beim Gedanken daran die Füße einschlafen. Oder eine Kombination aus alledem.

Außerdem ist es – gerade dann, wenn die Routine die Motivation zerfleischt – immer fein, sich selbst zu überraschen. Und Gewohntes neu zu sehen. Deshalb – langer Schreibe kurzer Sinn – spiele ich dann (viel zu selten) "Homerun". Oder das "Links-rechts-Spiel". Oder eine Kombination daraus. Und bin jedes Mal, wenn ich davon erzähle, überrascht, wie viele Leute es zum einen (unter welchem Namen auch immer) auch spielen. Oder mich zum anderen so fasziniert ansehen, als hätte ich ihnen gerade erstmals das Prinzip "Rad" erläutert: "Super Idee!" Hm. Nun ja. Liegt doch eigentlich nahe. Aber egal.

Foto: Thomas Rottenberg

"Homerun" ist, was der Name sagt: Vor dem Loslaufen definiert man eine Strategie. Etwa: "Mit der ersten Bimlinie, die ich beim Rausgehen sehe, in die Gegenrichtung drei Stationen, dann zwei Gassen zu Fuß Richtung Norden und ab dann in den dritten Bus einsteigen, bei der zweiten Umsteige-Ansage umsteigen – und bis zur Endstation." Von dort laufe ich dann nach Hause – optional noch mit der Auflage "und an jeder roten Fußgängerampel rechts abbiegen". Oder so ähnlich halt: Wenn man sich nicht selbst beschummelt, landet man so an den seltsamsten Orten – und schlängelt sich auf den erstaunlichsten Wegen nach Hause.

Das Gleiche gilt beim "Links-rechts-Spiel". Den Namen habe ich geklaut. Von Hans Blutsch, dem Laufschuhhändler meines Vertrauens: Als ich unlängst nach dem Prinzip "Rotes Auto: links, schwarzes Auto: rechts, silber, weiß oder grau: geradeaus" vor seinen Laden "geführt" wurde, sagte ich kurz Hallo. Beim Plaudern sagte Blutsch dann: "Ah, Sie spielen das auch? Ich nenne mein System 'Das Links-rechts-Spiel'." Worauf ein andere Kunde sich einmischte: "Ich mache das meistens von den Passanten abhängig: Mann – rechts, Frau – links." So viel zu "Ich habe es erfunden".

Die schweren Beine

Mein Lauf zum Händler war eine Verlegenheitslösung gewesen: Ich hatte am Sonntag einen flotten 35-Kilometer-Longjog runtergespult. Am Freitag waren lange Intervalle und am Samstag Tempoeinheiten auf der Bahn auf dem Programm gestanden: Meine Lust auf einen 45 Minuten kurzen lockeren Montagslauf war eher enden wollend. Aber Plan ist halt Plan – weil Ziel Ziel ist. Aber: Sagen Sie das mal ihren schweren, müden, schmerzenden Beinen, wenn Ihr Kopf, statt den Befehl "Lauft!" nach unten zu übermitteln, nichts anderes bereitstellt als "Sicher nicht!". Oder ein höhnisch-verzweifeltes "Welchen Praterbaum haben wir diese Woche eigentlich noch nicht persönlich begrüßt?". Motivierend ist das nicht. Im Gegenteil.

Da hilft bei mir nur eines: das Links-rechts-Spiel. Richtungswahlmodus diesmal: Tasche oder Rucksack bei Passanten. Plus ein paar Präferenzvorgaben: "Durchhäuser", "keine Boulevards", "Tore, wenn offen", aber "nicht über Zäune klettern".

Foto: Thomas Rottenberg

Den Rest erledigte der Zufall. Und obwohl ich sowohl die Wientalradweg-Strecke nach Schönbrunn als auch den Weg durch den Auer-Welsbach-Park und die Äußere Mariahilfer Straße zurück gut kenne, habe ich beim Kreuz-und-quer-Laufen durch den 15. Bezirk dann doch Ecken entdeckt, an denen ich noch nie war: Die Existenz des Dadlerparks war mir bis dato zum Beispiel gänzlich unbekannt – und das lag nicht daran, dass ich selten einen Park mit mehr Sackgassen gesehen habe als diesen.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch dass an die Fassade der Pfarre Reindorf ein Psalm gepinselt ist, war mir bis dato unbekannt – wobei ich da die räumliche Nähe zu einem Klassiker des Feminismus-vs.-Obszönität-Sprayertums schon fast ironisch fand. Oder Ketten und Schlösser an Sportstätten. Oder die Besitz-Abstreitungs-Kritzeleien auf Sperrmüll vor einem Gemeindebau. Oder …

Foto: Thomas Rottenberg

Klar: Es sind nicht die großen und packenden Bilder, die man so sieht. Aber doch kleine Mosaiksteine. Polaroids des Ist-Zustandes der Stadt und ihrer Befindlichkeit. Randstücke, die man gemeinhin übersieht.

Ebenso klar: Schnell, effizient, rund oder technisch sauber läuft man solche Läufe nicht. Aber man läuft. Und schaut. Und vergisst darüber dann nach ein paar Kilometern tatsächlich die schweren Beine, die Müdigkeit – und dass man doch eigentlich gar nicht laufen wollte. (Thomas Rottenberg, 10.9.2015)

Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg
Foto: Thomas Rottenberg