Damaskus/Moskau/Washington – Die US-Regierung versucht auf diplomatischem Weg, eine verstärkte russische Militärpräsenz in Syrien zu verhindern. Außenminister John Kerry sprach nach Angaben seines Ministeriums am Mittwoch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow, um die Besorgnis der US-Regierung über Berichte zu unterstreichen, nach denen Russland Kriegsschiffe und Flugzeuge nach Syrien verlegt hat.

Sollten die Berichte stimmen, wäre das nicht sehr hilfreich und würde zu noch mehr Gewalt in der Region beitragen, warnte Kerry. Auch das Weiße Haus zeigte sich "tief besorgt" über die neue Entwicklung. Man begrüße das Engagement gegen die jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS), sagte ein Sprecher von US-Präsident Barack Obama. Allerdings wäre es skrupellos, das Regime von Präsident Bashar al-Assad zu unterstützen. Ähnlich äußerten sich zuvor auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der französische Außenminister Laurent Fabius.

Landungsschiffe entsandt

Die Anzeichen für einen russischen Militäraufmarsch in Syrien verdichten sich nach Erkenntnissen der USA. Russland habe zwei Landungsschiffe, die auch Panzer transportieren können, zusätzliche Flugzeuge und eine kleine Zahl Marine-Infanteristen nach Syrien geschickt, verlautete am Mittwoch aus US-Regierungskreisen. Dies liege lediglich 24 Stunden oder etwas länger zurück.

Offenbar gehe es darum, ein Flugfeld nahe der Hafenstadt Latakia vorzubereiten. Die Gegend ist eine Hochburg des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, dessen Schutzmacht Russland ist und der immer stärker die Kontrolle über das Bürgerkriegsland verliert. Welche Absichten die Führung in Moskau verfolge, sei unklar.

Berichte über kämpfende Russen

Mehrere Insider im Libanon berichteten, russische Truppen hätten an Kampfhandlungen in Syrien teilgenommen. "Sie haben mit einer kleinen Zahl von Soldaten begonnen, aber das größere Kontingent hat sich noch nicht beteiligt", sagte einer der Kenner der politischen und militärischen Szene in Syrien der Nachrichtenagentur Reuters.

Ein anderer erklärte, das Vorgehen der Russen gehe über eine reine Beratertätigkeit für die syrische Armee hinaus. Details nannten die Insider nicht. Die syrische Regierung bestreitet eine Beteiligung russischer Truppen an den Kämpfen. Russland selbst äußert sich nicht zum konkreten Ausmaß seiner Militärhilfe für Syrien.

Waffenlieferungen

Doch auch in Syrien heißt es, Russland habe die Präsenz seiner Militärberater dort ausgeweitet. "Russische Experten sind immer vor Ort, aber im vergangenen Jahr waren sie stärker präsent", verlautete aus syrischen Militärkreisen. Alle Aspekte der Beziehungen zwischen Syrien und Russland würden derzeit weiterentwickelt, auch die militärischen. Russland argumentiert, seine Militärexperten seien nur vor Ort, um der syrischen Armee bei der Übernahme russischer Waffenlieferungen zu helfen.

Die USA vermuten dagegen, dass Russland seine Truppen verstärkt, um Assad zur Seite zu eilen. In US-Regierungskreisen hieß es am Wochenende, man beobachte alarmierende Vorbereitungen in Syrien. So seien Wohncontainer für Hunderte Menschen zu einem syrischen Flugplatz transportiert worden. Dies könne darauf hindeuten, dass Russland die Verlegung schweren Militärmaterials dorthin vorbereite.

Kerry beunruhigt

US-Außenminister John Kerry hatte seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow am Samstag angerufen, um die "Beunruhigung" Washingtons über ein mögliches verstärktes militärisches Engagement im Syrien-Konflikt zu übermitteln. Lawrow erwiderte darauf nach russischen Angaben, die Regierung in Moskau habe niemals bestritten, die syrische Regierung mit Waffen zu beliefern. Russland gehört zu den letzten Unterstützern von Syriens Staatschef Assad.

Assads Truppen verloren zuletzt immer mehr Territorium an die Aufständischen. In dem seit über vier Jahren andauernden Bürgerkrieg sind über 250.000 Menschen getötet worden. Millionen sind auf der Flucht, viele von ihnen streben nach Europa und besonders nach Deutschland.

Rebellenvormarsch in Idlib

Im Norden Syriens gaben die Regierungstruppen unterdessen den Militärflugplatz Abu al-Duhur auf und verloren damit nach Angaben von Beobachtern den letzten Stützpunkt in der Provinz Idlib an die Rebellen. Die Armee habe die Luftwaffenbasis im Nordwesten des Landes geräumt und nach fast zweijähriger Belagerung den Rebellen überlassen, berichtete das staatliche Fernsehen.

Die Regierungstruppen hätten sich damit komplett aus der lange heftig umkämpften Provinz Idlib im Landesinnern zurückgezogen, erklärte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die den Konflikt von London aus beobachtet. Die Provinz war lange Zeit eines der Hauptschlachtfelder des Bürgerkriegs. Zuletzt erzielte der syrische Ableger der Extremistenorganisation Al-Kaida, die Nusra-Front, dort jedoch vermehrt Geländegewinne.

Steinmeier warnt Russland

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Russland, aber auch Frankreich und Großbritannien vor einem stärkeren militärischen Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg. Die Atom-Einigung mit dem Iran und die neue Initiative der Vereinten Nationen böten erstmals Ansatzpunkte für eine politische Lösung des Konflikts in Syrien, sagte der SPD-Politiker im Bundestag. "Es kann nicht sein, dass jetzt wichtige Partner, die wir brauchen, auf die militärische Karte setzen."

Konkret bezog sich der Minister auf Erwägungen Frankreichs und Großbritanniens für Luftangriffe in Syrien. Dies sei jedoch nicht als Kritik an den EU-Partnern oder am Einsatz des Anti-IS-Bündnisses zu werten, hieß es im Umfeld Steinmeiers. Vor allen Dingen sei er aber bestürzt über Pressemeldungen, wonach Russland derzeit mehr Militärmaterial als bisher nach Syrien schaffe – zu "welchem Zweck auch immer", sagte Steinmeier. (APA/Reuters, 9.9.2015)