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Die Welle der Hilfsbereitschaft auf Österreichs Bahnhöfen war primär von privaten Initiativen getragen. Jetzt wäre die Politik gefordert.

APA

Es war schon okay, die österreichische Regierung in der Flüchtlingsfrage zur Abwechslung einmal zu loben: Ja, "der Sieg des Anstands über die Schäbigkeit", wie Eric Frey kürzlich schrieb, tat gut. In den sozialen Netzwerken machten viele Menschen ihrer Erleichterung Luft, "heute stolz auf Österreich" war eine oft gewählte Formulierung. Tatsächlich hatte man ein Wochenende lang den Eindruck, die Regierung habe sich aus dem FPÖ-dominierten Abschottungsdiskurs befreit und gehe einen neuen, eigenen, humanitär motivierten Weg der Fremdenpolitik.

Wenn man genauer hinsieht, entdeckt man freilich ein paar Schönheitsfehler. Offenbar brauchte es erst einen Anstoß. Der Schock über die 71 toten Flüchtlinge, die Schlepper in einem auf der A4 abgestellten Lkw im Stich gelassen hatten, und die spontane Initiative der ÖBB, eine Alternative zum Fluchtweg Straße zu bieten (sowie das gewaltige positive Echo der Öffentlichkeit) haben wohl erst ein gewisses Umdenken bewirkt. Dazu kam die Zusicherung Deutschlands, die Zehntausenden, die von Ungarn kamen, auch aufnehmen zu wollen. Das hat die Motivation, unbürokratisch zu helfen, bestimmt ein wenig befördert.

Traiskirchen, unverändert

Die Situation in Traiskirchen und auch in anderen Auffanglagern ist dagegen noch immer prekär. Hunderte Menschen schlafen in Zelten, die Versorgung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge ist vielerorts marginal. Noch immer stehen viele angebotene Quartiere aus bürokratischer Unbeweglichkeit leer.

Viele Vergleiche zu 1956 wurden angesichts der zehntausenden, die letztlich auch aus Ungarn flüchteten, gezogen. Eines war freilich anders: Während damals der Staat Österreich tätige Nachbarschaftshilfe übte, etwa auch Schulen leer räumte, um Flüchtlinge dort unterzubringen, war die spontane Hilfe am vergangenen Wochenende weitgehend privatisiert. Die ÖBB stellten Übergangsquartiere zur Verfügung, vor allem Caritas, Rotes Kreuz, Arbeitersamariterbund und andere NGOs übernahmen einen Großteil der Hilfe.

Einmalige Chance

Dabei wäre wohl jetzt jene "Window of Opportunity" für die Regierung, um eine tatsächlich anständige – und nachhaltige – Flüchtlingspolitik zu betreiben. Die Hilfsbereitschaft in der österreichischen Bevölkerung zeigt, dass auch die diametrale Gegenposition zu Stacheldraht und "dichten" Grenzen mehrheitsfähig sein kann – wenn die Politik sie mit entsprechender Entschlossenheit vorantreibt.

Das bedeutet nicht, dass alles eitel Wonne wird, wenn man alles Unbequeme, Unschöne ausblendet oder wegredet. Es bedeutet nur, dass Österreich auch seine Rolle als Anlauf-, nicht nur als Durchlaufstation annehmen sollte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in seiner lange erwarteten Rede zur Flüchtlingssituation, Europa könne stolz darauf sein, dass Menschen hierherkommen wollen, um Schutz und Sicherheit zu finden. Europa sei "ein Kontinent der Hoffnung".

Teil der Hoffnung

Österreich sollte auch Teil dieser Hoffnung sein und aktiv um Menschen werben, die bleiben wollen. Das genaue Gegenteil passiert: Viele der Flüchtlinge, die ursprünglich aus Ungarn kamen, wollten auch deshalb nach Deutschland weiter, weil es dort schlicht einfacher ist, Asylstatus zu erlangen. Österreich hat sich mittlerweile redlich den Ruf erarbeitet, durch lange bürokratische Prozesse eher abschreckend zu wirken.

Vielen Menschen hier mag das ganz gut in den Kram passen, besonders klug ist es nicht. Jene, die heute Flüchtlinge sind, könnten morgen viel zur Volkswirtschaft beitragen. Man muss sie nur wollen, und man muss sie lassen. Das wäre nachhaltig andere Politik. Die Privatisierung der Hilfsbereitschaft allein wird jedenfalls nicht ausreichen. (Petra Stuiber, 10.9.2015)