"Die Griechen müssen aber auch keine Mercedes bauen. Es reicht, wenn sie Touristen ins Land locken, gute Lebensmittel und Dienstleistungen für den Handel zur Verfügung stellen", kontert Zsolt Darvas den Einwand anderer Ökonomen, Griechenland verfüge über zu wenig Industrie, um sich selbst aus der Krise zu exportieren.

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STANDARD: Die Wirtschaftsleistung Griechenlands ist seit 2010 um ein Viertel eingebrochen, 25 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Gibt es irgendeinen Hoffnungsschimmer?

Darvas: Oh ja. Griechenlands Aussichten sind gut, denn was das Wachstum betrifft, bin ich sehr optimistisch. Es gab zwei Ursachen für die dramatische Rezession – beide hatten die Gläubiger Athens zu verantworten: Zunächst wurde das erste Hilfsprogramm 2010 nach völlig unrealistischen Berechnungen konzipiert. Die Troika (EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank, Anm.) erwartete einen Wirtschaftseinbruch von maximal sieben Prozent.

STANDARD: Wo war das Problem?

Darvas: Athen erhielt die Gelder diesen Berechnungen entsprechend. Die Folge der schlimmeren Rezession war, dass die Steuereinnahmen stärker einbrachen als gedacht. Die Gelder der Troika reichten nicht. Um zu überleben, musste Griechenland von sich aus weitere Sparmaßnahmen auflegen. Das verschärfte den Kollaps. Der zweite Fehler der Troika war es, 2010 eine Entschuldung verweigert zu haben. Alle gingen davon aus, dass Hellas die Eurozone verlassen würde, weshalb sämtliche Investitionen gestoppt wurden.

STANDARD: Und was macht Sie jetzt optimistisch?

Darvas: Sehen Sie sich Portugal und Spanien an: In beiden Ländern wurden ähnliche Reformprogramme wie in Griechenland durchgeführt, und beide Staaten wachsen dank eines Exportbooms wieder. Auch in Griechenland ist das Umfeld für Unternehmer besser geworden. Das Land hat einen großen Teil der Reformauflagen umgesetzt. Noch vor fünf Jahren lag Hellas in dem "Doing-Business-Report" der Weltbank, der das Klima für Unternehmer misst, auf Platz 112 – jetzt liegt es um Platz 60 herum. Laut der Industriestaatenorganisation OECD ist Griechenlands Arbeitsmarkt heute flexibler als jener Deutschlands. Es ist also viel passiert, und ich gehe davon aus, dass jede neue Regierung auch nach dem 20. September den Kurs fortsetzt. Spannend wird es dann im Spätherbst.

STANDARD: Warum?

Darvas: Die Gläubiger Athens haben versprochen, Griechenland mit den Schulden zu helfen.

STANDARD: Athen soll mehr Zeit bekommen, um seine Verbindlichkeiten abzuzahlen. Wird das helfen? Die Fristen sind ja schon sehr lang.

Darvas: Das ist richtig. Die Kredite aus dem ersten Hilfsprogramm müssen erst zwischen den Jahren 2022 und 2042 zurückgezahlt werden. Der am längsten laufende Kredit läuft sogar bis 2054. Die Termine weiter nach hinten zu verlegen, kann helfen. Wir bei Bruegel haben im Jänner errechnet, dass eine zehnjährige Verschiebung der Fristen Griechenlands Verschuldung mit der Zeit um 15 Prozent senken würde. Je später die Darlehen fällig werden, umso später muss Athen Kredite am Markt aufnehmen, um diese Schulden bedienen zu können. Das wäre hilfreich, denn am Markt sind die Kredite für Hellas teuer.

STANDARD: Aber Investoren werden den Schuldenberg Griechenlands ansehen, und dieser wird auch nach einer Fristverlängerung bei 180 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen.

Darvas: Er wird sogar auf 200 Prozent steigen. Doch wichtiger als diese Kennzahl ist etwas anderes: Zunächst, wie viel ein Land laufend für Zinsen ausgeben muss. Diese Last liegt für Griechenland bei gerade einmal zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Die Kredite der übrigen Euroländer erhielt Athen sehr günstig. Zudem muss das Land seit 2012 für zehn Jahre auf die Darlehen des Eurorettungsschirms keine Zinsen bezahlen. Der zweite wichtige Faktor ist, wie viel ein Land jedes Jahr an Schulden zurückzahlen muss. Wie erwähnt, sind die Fristen lang.

STANDARD: Sie haben vorher den Exportboom in anderen Krisenländern erwähnt. Viele Ökonomen sagen, Griechenland verfügt über zu wenig Industrie, um sich aus der Krise zu exportieren.

Darvas: Die Griechen müssen aber auch keine Mercedes bauen. Es reicht, wenn sie Touristen ins Land locken, gute Lebensmittel und Dienstleistungen für den Handel zur Verfügung stellen.

STANDARD: Gerade erst auf Wunsch seiner Gläubiger musste Athen die Mehrwertsteuersätze auf den Urlaubsinseln anheben. Dem Tourismus wird das schaden.

Darvas: Die Löhne sind aber im Land um rund 20 Prozent gefallen. Das kompensiert den Steueranstieg. Tatsache ist, dass die Konsumsteuern in Griechenland um zwei bis drei Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt lagen. Zugleich gibt es ein Riesenproblem mit Steuerhinterziehung – das ist bei der Mehrwertsteuer einfacher zu lösen, weil man Geschäfte leichter kontrollieren kann. Am wachstumsfreundlichsten wäre es freilich gewesen, die Vermögenssteuern deutlich anzuheben.

STANDARD: Sie erwähnten auch Spanien. Die Arbeitslosenrate liegt dort über der 20 Prozentmarke. Da kann man doch nicht von Erfolgen sprechen.

Darvas: Aber die Arbeitslosigkeit sinkt. Laut jüngsten Zahlen der Statistikbehörde Eurostat gab es zuletzt die größten Rückgänge bei der Arbeitslosigkeit in Spanien, Portugal, Irland und zu meiner eigenen Überraschung in Griechenland und zwar trotz all der Unsicherheiten. Wenn es also nach den Wahlen am 20. September eine stabile Regierung gibt, die das Programm weiter umsetzt, hat Griechenland vom nächsten Jahr weg ein starkes Potenzial. Man sollte nicht vergessen: Es gibt auch einen zyklischen Faktor, nach jedem Absturz kommt ein Aufschwung. Griechenlands Wirtschaft ist 2014 in jedem einzelnen Quartal gewachsen und die Beschäftigung ist in jedem Quartal gestiegen. Diese Entwicklung wurde nur durch die Turbulenzen der vergangenen Monate gestoppt. (Andràs Szigetvari, 9.9.2015)