"Ich denke, es wird sehr wohl noch Printzeitungen geben – für Menschen, die bereit sind, viel Geld dafür zu zahlen", sagt Brooke Gladstone.

Foto: David Waitz / Courtesy WNYC

STANDARD: Sie sprechen diese Woche in Wien bei der Media-Trends-Konferenz – worüber?

Gladstone: Über die Beziehung zwischen Medien, Politik und dem Gehirn. Wie wir Politik wahrnehmen, wird maßgeblich beeinflusst durch diese zwei riesigen Filter, die aufeinander einwirken – das Filter der Medien und unser Gehirn.

STANDARD: Und wie spielen diese Filter zusammen?

Gladstone: Ein Beispiel: Benimmt sich ein Politiker daneben, den wir unterstützen, macht uns das unrund. Sobald wir aber selbst daran glauben, dass es für das schlechte Verhalten eine vernünftige Erklärung gibt, bekommen wir eine Dosis des Glückshormons Dopamin. Das ist die Belohnung für die Lüge, die es uns erlaubt, unsere Meinung beizubehalten.

STANDARD: Wir werden also high davon, uns selbst zu belügen?

Gladstone: Ja, und das alles hat Auswirkungen darauf, wie wir über Politik lesen und schreiben. Es geht nicht nur darum, Leute mit neuen Informationen zu versorgen. Das alles ist ein sehr viel subtilerer und komplizierterer Vorgang.

STANDARD: Ihr Buch heißt "The Influencing Machine", der Beeinflussungsapparat – worauf bezieht sich der Titel?

Gladstone: Der Wiener Psychoanalytiker Victor Tausk entdeckte dieses Syndrom bei einer Frau, die davon überzeugt war, dass ein ehemaliger Geliebter mittels eines Apparats ihre Gedanken und Gefühle steuert. Immer wenn sich eine neue Technologie durchsetzt, taucht dieses Syndrom wieder auf – wir haben Angst davor, von außen kontrolliert zu werden, auch von Medien. Der Titel ist also ironisch gemeint: Wir werden nicht von einem Beeinflussungsapparat kontrolliert. Medien erhalten ihre Stichwörter von uns.

STANDARD: Bekommen wir also die Medien, die wir verdienen?

Gladstone: Ganz genau. Das ist der letzte Satz meines Buches!

STANDARD: Das macht meinen Job ja ziemlich einfach, wenn das Publikum Schuld trägt.

Gladstone: Wenn Sie nur wollen, dass Leute Ihre Artikel anklicken, werden Sie den Bullshit schreiben, den Leute anklicken. Ich nehme an, das machen Sie nicht – aber viele tun es. Sie übernehmen Verantwortung, genau wie jeder Leser verantwortlich dafür ist, zu klicken oder nicht zu klicken.

STANDARD: Sie sagen, es gibt keine Objektivität.

Gladstone: Objektivität ist ein Reinzustand. Ich glaube sehr wohl, dass Journalisten fair sein können, auch wenn sie nicht objektiv sind. Objektiv zu sein, in dem Sinne, dass man unbeeinflusst bleibt von den eigenen Gefühlen und Meinungen, wenn man Fakten wiedergibt – ich glaube nicht, dass das möglich ist. Denn Gefühle und Meinungen werden doch zu einem großen Teil durch Fakten und Erfahrungen erst gebildet! Davon nicht beeinflusst zu sein, würde also bedeuten, schlecht informiert zu sein.

STANDARD: Die Geschichte der Medien, die Sie in "The Influencing Machine" erzählen, beginnt mit der Erfindung der Schrift und endet im Jahr 2045 – wie schauen Medien dann aus?

Gladstone: Ich stelle es mir als nahtlose Beziehung vor, in der wir in einer virtuellen Welt parallel zur realen schweben. Intel will in naher Zukunft Implantate anbieten; es gibt "Wearables", es gibt "Smart Houses". Irgendwann werden all diese Maschinen nicht mehr nur Annehmlichkeiten sein, sondern das, was uns zu Menschen macht.

STANDARD: Ich warte noch immer darauf, dass Sie sagen: "Und dann gehen wir vor die Tür, um unsere gedruckte Tageszeitung zu holen."

Gladstone: Ich denke, es wird dann sehr wohl noch Printzeitungen geben – für Menschen, die bereit sind, viel Geld dafür zu zahlen. Wer es liebt, am Sonntag die "New York Times" aufzublättern, wird dafür jede Woche hundert Mäuse hinlegen.

STANDARD: In Deutschland und Österreich ist der Begriff "Lügenpresse" in rechten Kreisen populär.

Gladstone: Ja, das haben wir auch! Und dann sagt die Linke, dass die Medien von einer Gruppe böser, unternehmerischer "Overlords" kontrolliert wird. Alles, was man tun muss, ist dem Geld zu folgen: Wer bezahlt dafür? Die Antwort beginnt dort, aber sie endet woanders. Jemand bezahlt dafür, aber jemand anderes muss es kaufen. Es ist eine wechselseitige Beziehung. Die Mehrheit der Massenmedien gehört reichen Menschen, und sie sind eine facettenreiche Gruppe. Manche sind links, manche rechts. Kleine Medien, die auch enormen Einfluss haben, sind so bunt wie die gesamte Menschheit. Das ist reiner Ausdruck des Syndroms des Beeinflussungsapparats, das ich vorhin beschrieben habe.

STANDARD: Diese Verschwörungstheorien werden also nicht bald aufhören?

Gladstone: Oh nein. Das ist so alt wie Kommunikation. Aber sein wir ehrlich: Es gibt genug Lügen da draußen. Die erste Verwendung von Schrift war politische Propaganda. Kommunikation wurde immer zur Manipulation genutzt. Aber zu sagen, dass das alles in der Hand einer Partei liegt, ist Unsinn.

STANDARD: Eine Nebendebatte zur aktuellen Flüchtlingskrise in Europa betrifft die Frage, ob man Fotos von Toten zeigen darf oder nicht.

Gladstone: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Ich wünschte, es gäbe eine. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem Foto, das das Grauen zeigt – und einem Foto, das wir "Violence Porn" nennen. Eines vermenschlicht, das andere entmenschlicht. (Sebastian Fellner, 9.9.2015)