Das soll er sein, der neue "King of Pop". Der Kanadier Abel Tesfaye wurde vom Internetgeheimtipp zum Popstar. Mit Kunstleid und kundenaffiner Saubartelei legt er nun nach.


Foto: Universal Music

Wien – Man kann einen Sänger nicht ersuchen, doch bitte die Gosch'n zu halten. Also nicht, wenn er vom Tonträger singt. Von Angesicht zu Angesicht ginge das natürlich, Höflichkeit hin, schlechte Nachrede her. Man kennt das Verlangen. Es schleicht sich ein, wenn einen Celine Dion, Britney Spears oder der Bohlen Dieter ansingen.

Der aktuelle Anlass für derlei Ausflüge ins Misanthropische heißt Abel Tesfaye. Der hat als The Weeknd, seinem Nome de Schmus, eben das Album Beauty Behind The Madness veröffentlicht. Der Kanadier ist damit drauf und dran, ein neuer globaler Popstar zu werden. So lautet die Prognose der Fachpresse. Womit wir bei der Stimme wären.

Dem 25-Jährigen wird allerorts Soul unterstellt. Soul ist ein vielgelittener Begriff und besticht in seinen besten Momenten mit einer universell verständlichen emotionalen Tiefe, transportiert von Sängerinnen und Sängern, die beim Empfänger von der Euphorie bis zur Erschütterung alles auslösen können. Wer das einmal wahrgenommen hat, weiß, was gemeint ist.

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Gleicht man derlei Anspruch mit dem Gejammer auf Beauty Behind The Madness ab, bleibt wenig mehr übrig als am Laptop nachgebauter Gefühlskitsch. Der hat durchaus seine Berechtigung, es gibt ja auch Klamotten aus Polyester und Möbel von Ikea. In denen kann man ebenfalls schwitzen oder wohnen, Klasse besitzt beides nicht.

Abel Tesfaye verließ als Teenager die Schule, um lieber Drogen zu nehmen und Popstar zu werden. Das ist nachvollziehbar und gut. Einen Mann mit einem Ziel, das gibt es nicht nur am Häusl viel zu selten. Tesfaye begann, Tracks zu produzieren und sie übers Netz frei zugänglich zu machen.

Einsam vorm Schirm

Dort entdeckte eine einsam vorm Bildschirm sitzende Community seine Schmachtg'stanzln und entfachte einen Wirbel um den zurückgezogenen Tonsetzer. 2011 legte der das als Mixtape apostrophierte Album House of Balloons im Netz nach. Es folgten zwei weitere tendenziell düstere Arbeiten, die Ende 2012 als Trilogy erstmals physisch aufgelegt wurden.

Seitdem stieg der Stern des Mannes am Popfirmament, doch das Debüt Kiss Land enttäuschte, nun soll Beauty Behind The Madness das Versprechen eines neuen Superstars einlösen. Das allerorts vernehmbare "King of Pop"-Gewese ist Tesfayes Gesang zuzuschreiben. Der erinnert an Michael Jackson Stimme, an dessen zusehends unwirkliche Versuche, so zu klingen, wie ein kleiner Bub, der seiner Mama ein Vergehen gesteht, sie gleichzeitig begehrt und sich dessen doppelt schämt. Ungesund.

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Das zeitigt bei The Weeknd einen Sprechgesang, dessen Silben mittels elektronischer Verfremdungseffekte ins Tremolo entsandt werden, wo sie als rachitisches Falsett aus dem letzten Loch beichten. Man kennt das von Justin Bieber und vergleichbaren Kalibern der Brustschwäche.

Dergestalt wird bei Ruhepuls geflennt, gelitten oder über regennasse Muschis gesaubartelt. Ja, ja, pfui. Aber nachdem The Weeknd mit dem Track Earned It aus der Verfilmung des Feuchtgebieteromans 50 Shades of Grey im Hausfrauenmilieu von fünf Kontinenten berühmt geworden ist, gehört derlei zur Imagepflege. Earned It ist auf Beauty Behind The Madness selbstredend enthalten, eingebettet in ähnliche akustische Leintuchbeflecker.

Das Gruselkabinett

Diese tropfenden Tracks produzierte Tesfaye teilweise mit Max Martin, dem schwedischen Pop-vom-Reißbrett-Produzenten, dem Mann hinter den Backstreet Boys, Katy Perry, Spears, Dion – dem vollen Gruselkabinett.

Wie zur Abgrenzung lud Tesfaye Gastsängerinnen und Gastsänger wie Lana Del Rey oder Ed Sheeran ein. Nennenswerte Spuren hinterließen diese nicht. In Summe offenbart Beauty Behind The Madness nicht viel mehr als über eine Stunde lang Blähungen der Behauptungskunst. In Zeitlupe, angerührt, kunstleidend und so gefühlsecht, dass es einem der gute Ton verbietet, es hier hinzuschreiben. (Karl Fluch, 8.9.2015)